Sorry
Jennis Zimmer brennt. Tamara ruft nie an. Tamara existiert nicht für ihre Tochter. So ist es zwischen David und ihr abgemacht.
Jennis Vater hat sich in den letzten zwei Jahren hochgearbeitet, und jetzt gehört ihm eine Buchhandlung in Dahlem. Tamara lernte ihn auf der Buchhändlerschule in Leipzig kennen und ließ sich das erste Mal in ihrem Leben auf einen Mann ein, der bodenständig war und Ziele hatte. Nach einem Jahr Beziehung wurde Tamara schwanger. Trotz Pille. Frauke meinte, das läge nur an den Hormonen.
– Wenn die Hormone verrückt spielen, kannst du die Pille ins Klo werfen.
Tamara war nicht bereit für ein Kind. Auch wenn ihre Hormone das Gegenteil behaupteten, fühlte sie sich mit Mitte Zwanzig nichtals Mutter und wollte eine Abtreibung. David brach zusammen, als er das hörte. Er sprach von der großen Liebe, einer gemeinsamen Zukunft und davon, daß es wunderbar werden würde. Tamara sollte ihm vertrauen.
– Bitte, vertrau auf uns.
Es folgten ellenlange Diskussionen, und zum Schluß gab Tamara nach, obwohl sie David nicht liebte. In jemanden verliebt sein und jemanden lieben sind für sie zwei verschiedene Bahnhöfe. Sie kann sich jede Woche neu verlieben, aber lieben will sie nur einmal. David war einfach nicht der Mann, der ihr Herz ganz und gar entfachte. Er war gut zu ihr, er legte ihr die Welt zu Füßen, aber für die wahre Liebe reichte das nicht aus. Tamara blieb mit ihm zusammen, weil er Ziele hatte und einen Kurs angab.
Jenni kam zur Welt, und es wurde ein Fiasko. Zu spät lernte Tamara, daß man nie etwas an einem Kind ausprobieren sollte. Es ist etwas ganz anderes, als sich für eine Tapetensorte zu entscheiden, am falschen Bahnhof auszusteigen oder eine Beziehung einzugehen. Die Tapeten kann man wieder abreißen, der nächste Zug kommt immer, und jede Beziehung läßt sich beenden – bei einem Kind geht das alles nicht. Es ist da, und es will bleiben.
Um es noch schlimmer zu machen, spielte David den Traumvater, dem nie die Nerven durchgingen und der sich immer genug Zeit nahm, während Tamara die Wände hochging.
Sieben Monate hielt sie durch, nach sieben Monaten gab sie auf.
Sie weiß, daß es böse und gemein war zu gehen, aber sie konnte nicht anders. Sie empfand zuwenig für die kleine Jenni und fürchtete sich davor, eine dieser emotionslosen Schlampen zu werden, die ein Kind großziehen, das ein Leben lang in Therapiestunden über die fehlende Zuneigung von seiten der Mutter spricht. Also ergriff sie die Flucht. Dabei war es nicht so, daß Tamara rein gar nichts empfand. Da war eine langsam fortschreitende Distanzierung von sich selbst. Sie hatte das Gefühl, daß sie mit jedem Tag weniger und weniger wurde, während Jenni immer mehr Platz einnahm. Da Tamara sich selbst nicht verlieren wollte, ging sie und ließ Vater und Tochter im Stich.
David war enttäuscht, David war wütend, aber er sagte, er würde Tamara verstehen, und akzeptierte ihren Entschluß. Er übernahm das Sorgerecht unter der Bedingung, daß Tamara ihm die Chance für einen Neuanfang gab. Er wollte keine halben Sachen. Er wollte Tamara voll und ganz, oder sie sollte voll und ganz aus seinem Leben verschwinden.
Und so wurde Tamara zu einem Geist.
David heiratete im selben Jahr eine andere Frau, sie gründeten eine Familie, und Jenni bekam eine neue Mutter. Ein Jahr lang ging das für Tamara gut, ein zweites Jahr brach an, und dann kam alles, wie es ihr prophezeit worden war. Von Freundinnen, von der Familie. Eine quälende Sehnsucht nach Jenni brach in ihr aus. Sie begann, an ihrem Entschluß zu zweifeln, sie begann, vor Sehnsucht zu brennen.
David wollte nichts von Tamaras Wandel wissen. Er sagte, diese Tür sei jetzt geschlossen und würde auch geschlossen bleiben.
Aus diesem Grund schmerzt es Tamara, wenn über Jenni gesprochen wird. Aus diesem Grund geht sie Kris aus dem Weg, denn Kris ist der Meinung, daß Tamara etwas gegen ihre Sehnsucht tun sollte. Er findet, daß Jenni an die Seite ihrer Mutter gehört. Egal, was David dazu sagt.
– Was auch immer ihr untereinander ausgemacht habt, stellte er an Silvester fest, ist vollkommen wertlos. Du bist und bleibst ihre Mutter. Mir geht es auf die Nerven, wie du leidend durch die Gegend rennst. Verdammt, reiß dich doch mal zusammen. Jeder macht Fehler. Du hast zu deiner Tochter zu stehen. Und da gibt es kein Wenn und Aber.
Jeder macht Fehler.
Tamara hat das alles verstanden. Sie bekommt von allen Seiten mehr Ratschläge, als sie verarbeiten
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