Sorry
wenn die Sonne scheint.
Als die Frau aufsieht, bemerkt sie ihn auf der Parkbank. Sie lächelt verlegen, sie will ihre Traurigkeit nicht zur Schau stellen. Ihr Lächeln erinnert Kris an einen Vorhang, hinter den er für einen Moment schauen darf. Nett, einladend. Er ist berührt von ihrer Offenheit, dann ist der Moment genausoschnell wieder vorbei, die Frau reibt sich die Tränen aus dem Gesicht und blickt über das Wasser, als wäre nichts gewesen.
Kris setzt sich zu ihr.
Später wird er seinem Bruder erzählen, daß er selbst nicht wußte, was er da tat. Aber das ist später. Von hier an geht alles recht einfach. Es ist, als wären die Worte schon immer in seinem Kopf gewesen. Kris muß sie nicht suchen, er muß sie nur aussprechen.
Er erklärt der Frau, was eben passiert ist. Er nimmt den Bastard, der sie betrogen hat, in Schutz und erfindet für ihn eine schwierige Vergangenheit. Er erzählt von Problemen und Kindheitsängsten. Er sagt:
– Wenn er könnte, dann würde er vieles anders machen. Er weiß, daß er Mist baut. Laß ihn gehen. Wie lange kennt ihr euch? Zwei Monate? Drei?
Die Frau nickt. Kris macht weiter.
– Laß ihn gehen. Sollte er wiederkommen, weißt du, daß es richtig ist. Sollte er nicht wiederkommen, kannst du dich freuen, daß es vorbei ist.
Während Kris spricht, findet er Gefallen an seinen Worten. Er kann ihre Wirkung beobachten. Sie sind wie eine beruhigende Hand. Die Frau hört aufmerksam zu und sagt, sie wäre sich eh nicht sicher gewesen, was sie von der ganzen Beziehung halten sollte.
– Hat er viel über mich gesprochen?
Kris zögert unmerklich, dann macht er ihr Komplimente und erzählt, was man einer unsicheren, dreiundzwanzigjährigen Frau erzählt, die ohne große Schwierigkeiten in derselben Woche ihren nächsten Liebhaber finden wird.
Kris ist gut, er ist wirklich gut.
– Auch wenn er es nie zugeben wird, sagt er zum Schluß, darfst du nicht vergessen, daß es ihm leid tut. Tief in seinem Inneren entschuldigt er sich gerade bei dir.
– Wirklich?
– Wirklich.
Die Frau nickt zufrieden.
Alles beginnt mit einer Lüge und endet mit einer Entschuldigung – auch dieser Morgen hier im Park. Die Frau weiß nicht, wer Kris Marrer ist. Sie will auch nicht wissen, woher er den Bastard kennt, der sie gerade verlassen hat. Und obwohl sie ansonsten keine Verbindung zu Kris hat, fragt sie ihn, ob er nicht Lust hätte, mit ihr etwas trinken zu gehen. Der Schmerz der Frau ist wie eine Brücke, die jeder betreten darf, der Mitgefühl aufbringt.
Manchmal , denkt Kris, sind wir so was von austauschbar, daß es schon peinlich ist.
– Ein Glas Wein würde mir guttun, sagt sie, und ihre Hand glättet dabei das Kleid über ihren Beinen, als wäre das Kleid ein Grund für Kris, über ihr Angebot nachzudenken. Er sieht ihre Knie, er sieht die rotlackierten Zehennägel in den Sandalen. Dann schüttelt er den Kopf. Er hat das nicht getan, um dieser Frau näherzukommen. Er hat rein instinktiv gehandelt. Vielleicht ist esder banale Urdrang des Beschützers gewesen. Mann sieht Frau, Mann will Frau beschützen, Mann beschützt Frau. Später wird Kris zu der Einsicht kommen, daß er seiner Berufung gefolgt ist – er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Später wird ein Teil zum anderen finden und ein großes Ganzes ergeben. Später.
Kris legt seine Hand auf die der Frau und sagt:
– Es tut mir leid, aber ich bin verabredet.
Da ist wieder ihr Lächeln, aber es ist nicht mehr gequält, sie versteht Kris, sie vertraut ihm.
– Ein anderes Mal, verspricht er und steht auf.
Sie nickt. Es ist vorbei. Der Trennungsschmerz ist verschwunden, denn sie hat ein wenig Licht gesehen. Ein netter Mann hat ihr die Augen geöffnet. Und so lassen wir die Frau allein auf der Wiese sitzen und verlassen gemeinsam mit dem netten Mann den Park. Wir befinden uns auf dem Weg zu seinem Job. Es wird sein letzter Arbeitstag sein, und der nette Mann ist gar nicht gut gelaunt.
– Du mußt das verstehen, sagt Bernd Jost-Degen zehn Minuten später und schiebt sich die Hände in die Vordertaschen seiner Designerjeans. Er steht mit dem Rücken zum Fenster, so daß Kris sein Gesicht nur als Silhouette erkennen kann. Ein digitaler Zeiger zuckt zwischen einem Chagall und einem Miró über eine digitale Uhr, die als Projektion an die Wand geworfen ist. Es muß im Büro des Chefs immer halbdunkel sein, sonst sieht man die Uhr nicht. Bernd Jost-Degen ist drei Jahre älter als Kris und mag es
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