Achtung, Superheld! (German Edition)
Prolog
Der Wind heulte in Michaels Ohren. In den nächsten Tagen würde er dauernd Insekten aus seinen Haaren pflücken, doch das kümmerte ihn nicht. Die Luft hier unten war ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit – ein richtiger Altweibersommer. Hitze und Feuchtigkeit hatten sich zu einer tief hängenden Wolke zusammengeballt, die den Gipfel des Mount Noble verbarg, jedoch nicht Eric und Mollie. Ihre Silhouetten waren vor der dunklen Wand aus Wolken gerade noch zu erkennen, und obwohl Michael sie nicht auseinanderhalten konnte, war er sich ziemlich sicher, dass Mollie vorneweg flog. Sie war schneller, die schnellste Fliegerin, die Michael jemals gesehen hatte. Aber Geschwindigkeit war schließlich nicht alles.
Er hatte ihnen einen Vorsprung gelassen, indem er bis dreißig gezählt hatte, bevor er überhaupt vom Boden abhob. Jetzt flogen die beiden noch ungefähr zweihundert Meter vor ihm. Michael grinste, als er mit einem tiefen Atemzug die Bergluft einsog, sich am reinen Geruch der Kiefern freute und beobachtete, wie der Wald unter seinen Füßen verschwand – das hier würde wirklich lustig werden.
Es reichte nicht, einfach nur schnell zu sein; wenn man gewinnen wollte, musste man wissen, wie man sich den Wind zunutze machen konnte. Wer zu hart gegen die Naturgewalten ankämpfte, wurde schnell müde und verlor. Also hielt Michael sich zurück, bis er den Auftrieb eines warmen Luftstroms aus dem Tal spürte. Er breitete die Arme aus, fing die heiße Luft ein, verstärkte den Auftrieb durch seine eigene Kraft und schraubte sich geradewegs in die Decke aus grauen Wolken hinein. Hier, wo die warmen Luftströme auf die kalten Höhenwinde trafen, wurden die Flugbedingungen schwieriger, und bald würde es am Himmel zu gefährlich werden. Michael spürte, wie seine Haut prickelte, sich auflud – nicht mehr lange, und die statische Aufladung würde sich in Blitze verwandeln.
Er würde das Rennen beenden, lange bevor es so weit war. Höher und höher stieg er nach oben, wobei er den letzten Schwung aufbrauchte, den ihm der Aufwind verschafft hatte. Michael flog einen großen Bogen, brach durch die Wolkendecke, um einen kurzen Blick auf das Zwielicht des Himmels werfen zu können, und schoss dann, beide Arme fest an den Körper gepresst, wie eine Rakete, wie ein Meteor zurück zur Erde.
Kalter Regen prasselte ihm ins Gesicht, als er durch den Nebel stürzte, doch er lachte. Er fühlte die Geschwindigkeit in der Magengrube, in seinen Fingerspitzen; er fühlte die Geschwindigkeit in jedem Nerv und es war berauschend. Als er durch die Wolkendecke brach, entdeckte er Eric und Mollie, die beide ein paar Hundert Meter vom Gipfel des Mount Noble entfernt waren. Sie blickten über die Schulter und hielten nach ihm Ausschau, verwirrt, weil er plötzlich verschwunden war. Doch er war nicht hinter ihnen, er war über und vor ihnen, nur Sekunden vom Gipfel, von der verabredeten Ziellinie entfernt.
Sie taten ihm fast ein wenig leid, weil sie schon wieder ein Rennen verloren hatten, ihr letztes gemeinsames Rennen überhaupt. Aber sein Mitleid hielt nicht lange an, es wurde hinweggeschwemmt vom Kick der Geschwindigkeit und Freiheit, ertränkt vom Brüllen des Windes. Michael war der geborene Flieger …
Von dem Moment an, als er die Augen öffnete, spürte Michael, dass etwas nicht stimmte. Es war ein seltsames Gefühl, als ob man in einem dunklen Zimmer aufwachte, in einem Bett, das nicht das eigene war. Doch dies war sein Bett – er erkannte die Bettwäsche mit den Sternen und Halbmonden. Das Sonnenlicht, das durch sein offenes Fenster strömte, gab einen blauen Himmel preis. Er befand sich in seinem eigenen Zimmer und war früh an einem wunderschönen Morgen aufgewacht. Und doch war da dieses nagende Gefühl irgendwo in seinem Hinterkopf. Es kratzte, als ob er etwas vergessen oder verlegt hätte.
Michael sah auf den Wecker neben seinem Bett – 6:20 Uhr. Viel zu früh für einen faulen Sommermorgen. Er presste die Augenlider zusammen, drehte sich herum und versuchte, wieder einzuschlafen. Aber es half nichts. Er war jetzt hellwach, und nachdem er sich noch ein paar Minuten hin- und hergewälzt hatte, gab er seufzend auf und schälte sich aus dem Bett. Vielleicht würde er sich besser fühlen, wenn er diesen Tag erst einmal begonnen hatte.
Doch das nagende Gefühl setzte in seinem Hinterkopf unbefriedigt seinen Protest fort.
Michael schnappte sich ein Paar zerknüllte Jeans vom Boden und das dreckige T-Shirt, das
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