SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
hat sich im Erwachsenenbereich eine ausführliche Diskussion über psychische Veränderungen entwickelt. Es wird leidenschaftlich über Depressionen, Burn-out und Ähnliches diskutiert, dabei durchaus auch darüber, ob wir nicht mittlerweile schon zu leichtfertig eine psychische Störung diagnostizieren, wo es sich vielleicht nur um Stimmungsschwankungen handelt, denen jeder Mensch, auch mit einer gesunden Psyche, bisweilen unterliegt. Vor dem Hintergrund der Neufassung des DSM (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen), einer Art »Bibel« der Diagnose psychischer Störungen, hat diese Diskussion Mitte 2013 einen neuen Höhepunkt erreicht. So schrieb der amerikanische Psychiater Allen Frances ein Buch »gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen« und kritisierte die erhebliche Ausweitung des DSM .
Ganz klar: Ich will nicht in Abrede stellen, dass Depressionen oder Burn-outs heute tatsächlich eine bedeutende Rolle spielen. Nicht zuletzt habe ich den Katastrophenmodus der Psyche beschrieben, der bei fehlenden Kompensationsmöglichkeiten sehr schnell in einen Burn-out münden kann. Dieser Katastrophenmodus, den ich bereits in Lasst Kinder wieder Kinder sein analysiert habe, greift nach meiner Beobachtung immer weiter um sich. Der Auslöser dafür ist Folgendes: Das Leben bietet immer mehr Erwachsenen keine sichere Perspektive, kein Gefühl, dass man sich darauf verlassen könne, in zwanzig Jahren werde immer noch alles einigermaßen in Ordnung sein. Stabilitätsfaktoren im privaten Umfeld wie der sichere Arbeitsplatz und eine Absicherung fürs Alter brechen weg, dazu kommt jeden Tag ein Feuerwerk an Negativnachrichten, die aufgrund der Menge und der meist unterschiedlichen Informationslage aus verschiedenen Quellen kaum noch eingeordnet werden können.
Die Psyche nimmt all das als dauerhaften Stresszustand wahr, als ständigen Katastrophenalarm. Sie stabilisiert sich auf diesem Niveau, und der Mensch verliert damit die Fähigkeit, an morgen zu denken und perspektivisch zu handeln, um die Zukunft zu gestalten.
Das Besondere an meiner Analyse der Überlastung unserer Psyche ist dann gerade die Gefahr der unbewussten Kompensation von Eltern über ihre Kinder. Der Erwachsene ist nicht mehr abgegrenzt vom Kind und dient nicht mehr als Orientierung für die Entwicklung. Seine Psyche verschmilzt mit der des Kindes. In der Folge werden die Kinder auf frühen Entwicklungsstufen fixiert.
Warum der Schlenker über die DSM -Debatte? Auch hier liegt der intensiven Diskussion das gleiche Problem zugrunde: Psyche kann man nicht sehen. Eine ärztliche Diagnose jedoch kann nur anhand greifbarer und beschreibbarer Faktoren vorgenommen werden, sodass man für jede psychische Störung einen Katalog solcher Faktoren erstellt hat, der erfüllt sein muss, bevor die Diagnose ergeht.
Diesen Katalog gibt es auch in meinem Fachgebiet. Es gibt in der Einschätzung der Störungsbilder von Kindern unterschiedliche Ansätze. Ich selbst arbeite tiefenpsychologisch. Die meisten Auffälligkeiten von Kindern sind im Verhältnis zu den Bezugspersonen und zur Gesellschaft zu beurteilen. Die Störungen lassen sich vor allem durch eine genaue Beobachtung der Kinder und Jugendlichen diagnostizieren: Wie verhalten sie sich im Erstkontakt, in einer Testsituation, bei der neurologischen Untersuchung oder auch bei einer Therapeutin im Gegensatz zu mir als männlichem Therapeuten?
Aus dieser Beobachtung und auch in Verbindung mit Testergebnissen wird eine Diagnose gestellt, die als Arbeitshypothese zu sehen ist. So haben sich für mich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren neue Erkenntnisse ergeben: Aufseiten der Kinder und Jugendlichen liegen heute im Gegensatz zu früher Entwicklungsverzögerungen im Bereich der emotionalen und sozialen Psyche vor. Das bedeutet, dass die meisten Kinder, die zu mir kommen, auf der Stufe von Kleinkindern stehen und immer noch die Vorstellung haben, sie könnten alles und jeden steuern und bestimmen. Aufseiten der Erwachsenen liegen unbewusste Beziehungsstörungen vor: Sie sehen im Kind einen Partner oder kleinen Erwachsenen, wollen vom Kind partout geliebt werden oder befinden sich in einer Symbiose, einem Zustand, den ich an anderer Stelle noch erklären werde.
Im Vordergrund steht daher meine Beratung der Eltern mit dem Ziel, diesen ihre unbewusste Beziehungsstörung erkennbar zu machen und sie zu beheben. Anschließend erfolgt die Behebung der kindlichen Entwicklungsstörung durch die
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