Soul Kitchen
das ich mit eigenen Händen bauen wollte, ein holzgewordenes Zeichen meiner wiedergewonnenen Freiheit. Denn wie die Therapeutin richtig gesagt hatte:
„Sehen Sie nicht immer nur, dass Sie etwas verloren haben. Sehen Sie endlich, dass Sie auch etwas gewonnen haben. Sie erkennen es nur noch nicht.“
Gleich nach der Sitzung hatte ich mich zum Baumarkt aufgemacht, um die nötigen Materialien für mein Bett zu besorgen. Doch dort verlor ich mich beim Anblick der Maserung der Bretter in Gedanken. Auch habe ich noch nie etwas gebaut, abgesehen von der kleinen Windmühle mit schiefen Flügeln aus Glanzpapier in der Grundschule. Sie wurde mit ausreichend benotet.
Schließlich erstand ich statt der Bretter und dem Werkzeug nur eine fleischfressende Pflanze für drei Euro.
Jetzt war es drei Uhr nachts. Ich zappte mich durch die Fernsehkanäle, fand aber nichts weiter als fade Spätfilme, Werbesendungen und einen Mann, der Gurkenhobel anbot. Es gab auch eine Frau, die sich in einer Turnhalle ihr rotes Stretchkleid abstreifte und nackt mit einem Basketball spielte. Sie war jung und sehr hübsch. Jeden Tag sah ich hübsche junge Frauen – auf der Straße, im Café, im Supermarkt, beim Arzt –, und ich stellte sie mir gern nackt vor, stellte mir vor, wie es wäre, mit ihnen zu schlafen. Mit jeder.
„Nichts hindert Sie daran. Sie können tun und lassen, was Sie wollen“, hatte die Therapeutin gesagt.
„Ich hätte aber das Gefühl, ich würde Martha betrügen, wenn ich mit anderen Frauen schlafe.“
„Sie können sie nicht betrügen. Sie hat sich vor zwei Monaten von Ihnen getrennt.“
Die Frau in der Turnhalle leckte an ihren Brüsten, und auf meine Stirn setzte sich eine Stubenfliege. Ich erschlug sie. Auf dem Fensterbrett, zwischen den Steinen aus Island, stand die fleischfressende Pflanze – zwei symmetrische Blätter, geöffnet wie Lippen, mit feinen Härchen an den Rändern. Ich legte die Fliege hinein. Doch die Blätter schlossen sich nicht, um sie einzuhüllen und zu verdauen. Wahrscheinlich mochten sie kein totes Fleisch.
Am Morgen rüttelte Bastian, mein Sohn, mich wach. Es sei halb acht, sagte er, und er müsse zur Schule. Noch bevor ich zu mir kam, war er fort. Ich schloss die Augen wieder, denn ich hatte nichts übrig für den grauen, verregneten Tag, den ein Blick aus dem Fenster verhieß.
Seit geraumer Zeit schon stand Bastian von allein auf, ein Umstand, der meinem Lebensstil zugutekam. Denn als Autor schrieb ich oft bis spät in die Nacht – Romane, Texte für Fernsehsendungen und Werbespots, gelegentlich sogar ein Gedicht. Die meisten Romanmanuskripte allerdings waren inzwischen recycelt, denn kein Verlag wollte sie haben, und etwas überspitzt könnte man sagen, dass meine Geschichten zumindest in Form von Wegwerftüchern und Toilettenpapier ihren Weg zu den Menschen gefunden hatten. Die Gedichte warf ich in der Regel morgens weg, da ich sie, in nüchternem Zustand betrachtet, albern fand. Vom Fernsehen dagegen lebte ich, und zwar nicht schlecht, auch wenn ein neuer lukrativer Auftrag nun schon lange auf sich warten ließ.
Ich konnte nicht mehr einschlafen, denn wie so oft trieb mich mein schlechtes Gewissen um: Kinder brauchen einen festen Tagesablauf, vor allem wenn man sie allein erzieht. Und ein fester Tagesablauf beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Doch immerhin war ich nachmittags für Bastian da, wenn er aus der Schule kam. Falls er kam. Immer öfter trieb er sich mit Freunden herum, ohne mir Bescheid zu geben. Dabei wusste er, dass es mich in Rage versetzte, wenn ich ihm hinterhertelefonieren musste und wenn die Fischstäbchen, die ich gebraten hatte, kalt wurden.
Nicht, dass ich kein Vertrauen in meinen Sohn gehabt hätte. Aber man soll nicht allzu viel Vertrauen in Kinder haben, die anfangen zu pubertieren – vor allem dann nicht, wenn man nicht einmal mehr sich selbst vertraut, wenn man viel Zeit damit zubringt, sein Selbstmitleid und die Folgen häufigen Alkoholmissbrauchs zu pflegen.
Um halb neun klingelte das Telefon. Mein Magen krampfte sich zusammen, denn ich ahnte, was kam. Sie riefen immer um diese Zeit an.
„Ihr Sohn ist wieder zu spät gekommen. Und gestern hat er in der Mathematikstunde Karten gespielt!“
„Hmmm …“
„Hallo! Sind Sie noch dran?“
„Jaja … Was hat er denn gespielt?“
„Das ist doch egal. Meistens pokern sie. Mit echtem Geld!“
„Hat er wenigstens gewonnen?“
Ich handelte mir den Vorwurf ein, ich nähme die Situation nicht
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