Späte Sühne - Island-Krimi
mich und wissen, wie feinfühlig ich bin. Sie heben neue Jungen für mich auf, denn keiner verhält sich ihnen gegenüber so rücksichtsvoll wie ich. Die anderen Kunden sind meist unglaublich roh – völlig empfindungslose Stümper. Sie können die Jungen in zehn Minuten kaputt machen, und dann werden sie ängstlich und verschlossen. So etwas lässt sich nur selten wieder korrigieren.«
»Das muss aufhören«, flüsterte der andere Mann.
Anton fuhr fort, als hätte er es nicht gehört. »Ich gehe zart vor, ich habe diesen Touch, den die Jungen so beruhigend finden. Man muss Geduld mit ihnen haben. Mit einem neuen Jungen gebe ich mich nur ab, wenn ich die ganze Nacht zur Verfügung habe. Und dank Viagra kann man sich auch mehr Zeit lassen.«
Nach kurzem Schweigen sagte der andere: »Irgendjemand muss da eingreifen.«
Er fasste in seine Jackentasche und holte ein paar Münzen heraus, die er neben den Kerzenleuchtern übereinanderstapelte. Dann wiederholte er noch einmal: »Irgendjemand muss eingreifen und dem ein Ende setzen.«
Anton hatte zum Telefon auf dem Schreibtisch gegriffen und wählte eine lange Telefonnummer, die er von einem Zettel ablas. Kurze Zeit später stellte er sich auf Englisch vor. Der Gesprächspartner arbeitete in einem Hotel in irgendeiner Stadt, und Anton buchte für einige Nächte ein Zimmer. Er las die Nummer seiner Kreditkarte vor, die er in der Hand hielt, und musste sie zweimal wiederholen.
Der andere Mann befeuchtete Zeigefinger und Daumen mit der Zunge und löschte eine der Kerzen mit ihnen aus.
03:05
Die ersten Töne des »Air auf der G-Saite« von Johann Sebastian Bach aus dem Handy auf dem Nachttisch begannen leise und wurden dann immer lauter, bis die Melodie klar zu erkennen war, auch wenn die Tonqualität des Geräts zu wünschen übrig ließ.
Arngrímur Ingason, Botschaftsrat in der isländischen Botschaft in Berlin, brauchte geraume Zeit, um diese Töne einzuordnen und richtig wach zu werden. In seinem Schlafzimmer war es dunkel, und er wusste, dass es Nacht war. Sein Körper war nicht auf diese unerwartete Störung des Tiefschlafs eingestellt. »Geh wieder schlafen«, signalisierten die Nerven ein ums andere Mal zu der beruhigenden Musik. Arngrímur schloss noch einmal kurz die Augen, doch dann streckte er die Hand nach dem Apparat aus. Die Uhr auf dem Display zeigte kurz nach drei. Die Melodie verstummte abrupt, als er mit großem Bedauern die Antworttaste drückte.
»Ja?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung sprach Deutsch: »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Ingason. Hier spricht Achim Wolf, Sicherheitsbeauftragter in der Botschaft, ich habe Nachtschicht.«
Der Botschaftsrat setzte sich im Bett auf.
»Entschuldigen Sie den Anruf zu dieser Stunde, Herr Ingason, aber es gibt da ein gewisses Problem in der isländischen Botschaft.«
»Ein Problem?«
»Ja, Herr Ingason, es ist wahrscheinlich nichts Ernstes. Botschafter Björnsson hatte gestern Abend Gäste …«
»In der Botschaft?«
»Ja. Zunächst war da eine Besprechung um achtzehn Uhr, doch die hat sich bis zum Abend hingezogen. Der Botschafter hat dann Essen aus einem Restaurant kommen lassen, und danach blieben die Gäste wohl länger als geplant.«
Der Botschaftsrat schob sich seufzend zur Bettkante.
»Sind sie immer noch zugange?«, fragte er und tastete nach seiner Brille, die auf dem Nachttisch lag.
»Nein, Herr Ingason. Der Botschafter hat vor zwanzig Minuten das Gebäude verlassen, zusammen mit seiner Frau.«
»Gut. Ich hoffe, es hat nicht allzu viel Spektakel gegeben.«
»Nein, nein. Darum geht es auch gar nicht.«
»Was ist denn dann das Problem, Herr Wolf?«
Der Sicherheitsbeauftragte suchte zögernd nach den richtigen Worten.
»Es geht um etwas anderes, Herr Ingason.«
»Um was denn?«
»Eine der Personen, die hier als Gäste der isländischen Botschaft eingetragen sind, ist nicht beim Hinausgehen registriert worden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass diese Person noch in der Botschaft ist?«
»Ja, Herr Ingason. Sein Name ist Eiríksson. Sein Pass befindet sich noch hier in der Rezeption.«
»Eiríksson? Ein Isländer?«
»Ja, ein Isländer. Der Vorname ist Anton.«
»Anton Eiríksson? Der Name sagt mir nichts.«
»Davon ging ich auch nicht aus«, sagte der Sicherheitsbeauftragte. »Entschuldigen Sie, vielleicht war der Anruf etwas voreilig von mir. Möglicherweise ist er einfach irgendwo in der Botschaft eingeschlafen, ohne dass der Herr Botschafter es bemerkt hat. Mein Kollege
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