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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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aber was kam danach, was würde meinem Leben dann Sinn geben? Die Schriften Ihres Mannes halfen mir zu verstehen, daß sich das Leben weiterentwickelt. Es ist wichtig, sich dessen bewußt und bereit zu sein, in das nächste Stadium einzutreten.«
    |31| »Das höre ich gerne«, sagt sie, klingt wehmütig. »Aber nach dem wenigen, was Sie mir von sich erzählt haben, sind Sie bereits dabei, Ihren Weg zu finden.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich bin seit fünf Monaten hier und habe die Antworten, die ich zu finden gehofft hatte, immer noch nicht gefunden.«
    »Welche denn?«
    »Wer bin ich, wenn ich keine der vielen Rollen spiele? Wie fange ich es an, mich selbst zufriedenzustellen, nachdem ich jahrelang nur andere zufriedengestellt habe? Worauf kommt es wirklich an? Soll ich verheiratet bleiben, und wenn ja, wie wird das aussehen? Ich weiß mit Sicherheit, daß es so nicht mehr bleiben kann.«
    »Oh, da haben Sie sich aber eine Menge vorgenommen. Seien Sie nicht so hart zu sich. Es braucht Zeit, die Vergangenheit abzustreifen. Sie haben schon einen großen Schritt getan, indem Sie hierher kamen, statt sich zu Hause zu verkriechen, wie so viele Frauen das tun, die Angst haben, ihre Sicherheit zu verlieren«, fährt sie fort. »Viele Frauen glauben, daß es zur Liebe gehört, sich abhängig zu fühlen. Einen Ehemann zu haben, kann ein prima Alibi für eine Frau sein; am Ende kommt sie nie dazu, ihr eigenes Leben zu führen. Ich glaube daran, daß zu einem erfüllten Leben Selbstentwicklung nötig ist. Kommen Sie, schauen wir uns Ihre Bücher an«, schlägt sie vor, ändert abrupt die Richtung unseres Gesprächs. »Das war Arbeit, die Sie die ganze Zeit nur für sich selbst getan haben.«
    Ich bin etwas verlegen, als ich einen Stapel kleiner Bändchen aus meiner Tasche ziehe, jedes 48   Seiten dick und mit Fotos illustriert, alle Geschichten leicht zu lesen – kaum vergleichbar mit der anspruchsvollen Literatur, die Joan umgibt. »Ich habe als Journalistin angefangen«, erzähle ich ihr, um etwas besser dazustehen. Sie greift nach
Twins on Toes
, einem Buch über Ballett, und blättert es durch, sagt nichts, schüttelt aber auf eine Weise den Kopf, die ich als kritisierend interpretiere. »Wunderschöne |32| Fotos«, meint sie schließlich, »aber klassischer Tanz engt so ein, finden Sie nicht? Diese armen Mädchen mit ihren eingebundenen Füßen in diesen schrecklichen Schuhen, und all die Verrenkungen, die sie ihrem Körper antun.«
    »Aber ich dachte, Sie seien eine begeisterte Anhängerin des Tanzes«, entgegne ich, überrumpelt von ihrer Reaktion.
    »Moderner Tanz. Deswegen bin ich nach Europa gegangen, als ich jung war. Alles, was mit experimentellem Tanz zu tun hatte, fand dort statt. Mein Ziel war, Kontakt zu Isadora Duncan aufzunehmen. Sie war die Rebellin – sie setzte sich auf dramatische Weise von allem ab, was nach klassischem Tanz roch.«
    Ich denke an die Frauen in meiner Familie   – Großmütter, Tanten, selbst meine Mutter   –, die sich nur wenige persönliche Träume gestatteten und sie noch weniger auslebten. Wo nahm Joan bloß den Mumm her? »Wie alt waren Sie, als Sie das gemacht haben?« frage ich. »Hatten Sie einen Plan dafür?«
    »Eigentlich nicht, und keine Unterstützung von der Familie oder der Columbia University, an der ich unterrichtete. Um 1920 herum war das ein ziemliches Risiko für eine junge Frau. Aber ich war fest entschlossen, mein Leben in Gang zu setzen. Ich verkaufte mein Auto, lieh mir Geld von meinem Bruder und bestieg ein Schiff nach Le Havre.«
    Während sie erzählt, muß ich daran denken, wie mein Mann und ich uns entschieden, mit dem Friedenscorps nach Afrika zu gehen. Diese Erfahrung hat zweifellos die Richtung unseres Lebens verändert. Sie gab uns eine andere Perspektive, und unser Wertesystem verlagerte sich total. Wir waren ermutigt worden, unsere Träume auszuleben, und Afrika diente dazu, unseren Appetit auf weitere Abenteuer zu verstärken.
    »Haben Sie jemanden zurückgelassen?« frage ich, weil ich mich daran erinnere, daß es selbst in meiner Generation wichtiger war, einen Mann zu finden, als einen echten Beruf zu ergreifen.
    »Nichts Ernstes«, erwidert sie schlagfertig. »Ich wollte, daß |33| sich meine Welt öffnete, nicht schloß. Mich auf eine romantische Beziehung einzulassen, hätte alles zum Stillstand gebracht. Ich wurde einfach das Mädchen, das nach Europa ging. Ich gab mir sogar einen neuen Namen und tat so, als sei ich jemand ganz

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