Special - Zeig dein wahres Gesicht
„Diego!“ Dr. Cable spuckte das Wort aus. „Letzte Nacht haben sie Shay und Tachs in den weltweiten Nachrichten gezeigt. Die beiden haben ihre Schlitznarben vorgeführt und mich als Monster bezeichnet."
„Wie verpfuscht von denen“, sagte Tally.
Dr. Cable starrte sie wütend an. „Und sie senden detaillierte Scans deines Körpers und nennen dich ein >Gestaltsvergehen<.“
„Soll das heißen, dass ich wieder berühmt bin?“
Cable nickte. „Du bist berüchtigt, Tally. Alle haben Angst vor dir. Das neue System mag die anderen Städte vielleicht nervös gemacht haben, aber sie scheinen meine kleine Bande aus psychotischen Sechzehnjährigen für schlimmer zu halten."
Tally lächelte. „Wir waren ja auch ganz schon eisig."
„Und wieso hat es dann Diego geschafft, dich einzufangen?"
„Ja, das war eine miese Nummer." Tally zuckte mit den Schultern. „Und dabei waren es ganz normale W ächter. Sie trugen diese albernen Uniformen, die aussahen wie Hummeln."
Dr. Cable starrte sie an und fing an zu zittern wie der arme Zane. „Aber du warst so stark, Tally. So schnell!“
Wieder zuckte Tally mit den Schultern. „Bin ich noch immer.“
Dr. Cable schüttelte den Kopf. „Bis auf weiteres, Tally. Bis auf weiteres."
***
Nach zwei Wochen einsamer Stille hatte plötzlich irgendwer Erbarmen mit Tallys Langweile und die Bildschirmwand in ihrer Zelle wurde aufgeladen. Tally staunte darüber, wie schnell Dr. Cable die Stadt aus dem Griff verloren hatte. Die Nachrichten
zeigten nicht mehr ständig den glorreichen Sieg des Militärs - statt kriegerischer Ruhmestaten füllten Blubberkopf-Serien und Fußballspiele den Schirm. Und der Stadtrat gab die neuen Vorschriften eine nach der anderen auf.
Offenbar hatte Maddys Heilmittel sich gerade noch rechtzeitig in Dr. Cables Gehirn ausgebreitet - zu dem zweiten Angriff auf Diego war es nicht mehr gekommen.
Natürlich konnten auch die anderen Städte etwas damit zu tun haben. Das neue System hatte ihnen zwar nicht gefallen, aber das Ausbrechen eines wirklichen Krieges sagte ihnen noch weniger zu. Immerhin hatte es dabei Tote gegeben.
Nachdem Dr. Cables chirurgische Experimente in Verruf kamen, erschienen Diegos wiederholte Beteuerungen, niemals das Magazin angegriffen zu haben, nach und nach glaubhafter. Die Nachrichten begannen in Frage zu stellen, was in jener Nacht wirklich geschehen war, vor allem nachdem ein alter Museumsangestellter, der Zeuge des Attentats gewesen war, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit trat. Er behauptete, irgendeine Art Rusty-Nano sei freigesetzt worden, und zwar nicht von einer Invasionsarmee, sondern von zwei gesichtslosen Personen, die eher jung und töricht gewirkt hatten als tödlich ernst.
Dann brachten die lokalen Nachrichten Beiträge, die sich auf die Seite Diegos stellten, zum Beispiel Interviews mit verwundeten Überlebenden aus dem zerstörten Stadthaus. Tally klickte immer ganz schnell an diesen Reportagen vorbei, die meistens mit der Auflistung der siebzehn Opfer des Angriffs endeten - vor allem mit dem einen, der ironischerweise ein Flüchtling aus Tallys Stadt gewesen war.
Und dabei wurde immer sein Bild gezeigt.
***
Dann begannen die Auseinandersetzungen über den Krieg - und über alles andere. Die Meinungsverschiedenheiten verschärften sich vor Tallys Augen, jeden Tag waren sie weniger höflich und zurückhaltend, bis die ganze Diskussion über die Zukunft der Stadt auf Ugly-Niveau abrutschte. Es war die Rede von neuen Gestaltsstandards, davon, dass Uglies und Pretties Kontakt haben dürften, sogar von einer Erweiterung in die Wildnis wurde gesprochen.
Das Heilmittel setzte sich hier durch, wie es das schon in Diego gemacht hatte, und Tally fragte sich, zu welcher Art von Zukunft sie da beigetragen hatte. Würden die Pretties aus der Stadt sich jetzt aufführen wie die Rusties? Sich in der Wildnis ausbreiten, die Welt überbevölkern, alles niedermachen, was sich ihnen in den Weg stellte? Und wer könnte sie jetzt noch daran hindern?
Dr. Cable verschwand mehr und mehr aus den Nachrichten, ihr Einfluss wurde geringer, ihre Persönlichkeit schrumpfte vor Tallys Augen. Sie kam nicht mehr in die Zelle, und bald darauf nahm der Stadtrat ihr die Macht und erklärte die Krise und damit Cables Einsatz für beendet.
Und dann setzte das Gerede vom Entspecialungs-Programm ein.
Specials galten jetzt als gefährlich, als möglicherweise psychotisch,
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