Sperrzone Fukushima
ist, sind Käfer für die Kinder. Die kommen von hier.« Tatsächlich hatte die Dolmetscherin einmal einen Käfer als Haustier für ihre Söhne gekauft (auch wenn sie nicht wusste, ob er aus Miyako Oji kam); er gedieh nicht, wie ich leider sagen muss. Als wir an der Kreuzung rechts nach Inaki abbogen, war es richtig dunkel. »Die meisten sind weg«, sagte der Fahrer.
Und so kamen wir an den inneren Kreis, an dessen Grenze große Schilder mit schwarzen und roten Buchstaben auf der Straße standen; die Präfektur verkündete, die Weiterfahrt sei verboten,während die Polizei nur erklärte, sie sei eingeschränkt. Im Dunkel dahinter lauerte ein Bus mit Einsatzkräften der Polizei, leer oder auch nicht. Da es nichts zu sehen gab und die Risiken (einschließlich einer möglichen Verhaftung) unbekannt waren, konnte ich vom Fahrer und der Dolmetscherin nicht guten Gewissens verlangen, an diesem Abend noch weiter vorzustoßen, so tapfer sie auch waren. Aber wir machten einen Abstecher nach Miyako Oji, dessen Häuser unversehrt wirkten, aber dunkel waren. Ein einsamer weißer Hund kam zum Taxi getrottet und blickte hoffnungsvoll zu uns auf; als wir unseren Weg fortsetzten, sprang er wie verrückt hin und her. Der Fahrer sagte, in den Notaufnahmelagern wie der Großen Palette seien keine Haustiere erlaubt, und daher müsse man sie zurücklassen. Hätte ich versuchen sollen, den Hund in ein Tierheim in Koriyama zu bringen, falls es so etwas gab? Wer wusste schon, wie stark das Tier kontaminiert war?
»Das habe ich hier noch nie gesehen«, sagte der Fahrer. »Wie eine Geisterstadt. Ungefähr vor zwanzig Jahren ist in Koriyama ein Kabel gebrochen an Heiligabend, und es gab einen Stromausfall. Ganz dunkel war es! Und das ist seither das erste Mal.«
Als wir wieder in die andere Richtung fuhren, vom Reaktor fort, nahm ich meinen Mundschutz ab und schmeckte sofort den Staub in meiner Kehle, was mich nervös machte, denn was, wenn das Dosimeter log? Ich hatte einfach nichts anderes, nach dem ich mich richten konnte.
Der alte Fahrer sagte: »Wirklich Angst muss man hier vor dem Wind vom Meer haben. Dann kommt die Radioaktivität. Im Sommer, dann kommt sie.«
Eine Viertelstunde später, um acht Uhr, zeigte das Dosimeter 2,5 Millirem.
SIE HABEN ES FÜR DIE NATION GETAN
Am Morgen darauf, einem Sonntag, der kühl und windig begann,während das Dosimeter wie erwartet 2,6 Millirem anzeigte und im Hotelfernseher erklärt wurde, dass der Flutgraben des kontaminierten Reaktors bald überfließen würde, machten wir uns ein weiteres Mal in die Gefahrenzone auf. Wie zuvor trug ich meine Baseballmütze (ein praktischer Landeplatz für herumfliegende Teilchen mit Beta-Strahlung), meinen alten Regenmantel, den ich als Malerkittel benutzt hatte (für das auf den äußeren Anschein bedachte Japan völlig unpassend) und dessen Vorzüge in seiner Kapuze und seiner Dehnbarkeit bestanden – dieses herrliche Accessoire war dazu bestimmt, einen ärmellosen Wegwerfregenumhang zu umhüllen, dessen Armlöcher ich mit Klebeband luftdicht an die Ärmel des Regenmantels kleben wollte; darunter gehörte bei Bedarf ein Fleece-Pullover, denn in der Tsunamizone war es kalt gewesen; dann kam mein fünfzehn Jahre altes langärmliges Hemd (nur wenige Male getragen; eine Schande, es dranzugeben, aber ich hatte es sowieso schon für chemische Experimente übergezogen), und in seiner Brusttasche nahm mein Dosimeter Platz; unter diesem Hemd trug ich ein weiteres, dünneres; und im letzten Augenblick wollte ich mir meine gelben Küchenhandschuhe überstreifen und an den Manschetten mit Klebeband versiegeln; dann kamen meine alten Jeans und Unterhosen, meine schmuddeligen Socken, noch vom Tsunami-Mulch durchweicht, die alten Schuhe meines verstorbenen Vaters; Überzüge zum Wegwerfen hatte ich in der Tasche – und meine Atemmaske natürlich, die garantiert 99,97 Prozent aller festen Teilchen herausfiltern sollte, auch wenn das Etikett mich, seit ich sie in einem amerikanischen Baumarkt gekauft hatte, mahnte, Zweckentfremdung könne zu Verletzungen oder zum Tode führen.
Für die Dolmetscherin (die zu gegebener Zeit das Dosimeter erben würde) hatte ich einen zweiten Satz all dieser exotischen Ausrüstungsgegenstände dabei. Aber Regenumhang, Handschuhe, Klebeband und Überzüge für die Schuhe hatten mich auf dieser Abenteuerreise natürlich bisher noch nicht geschmückt; alle anderen Kleidungsstücke hatte ich unermüdlich tagein, tagaus getragen, da
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