Sperrzone Fukushima
uns je etwas gehört hatte, auch der Fahrer nicht; die Dolmetscherin und ich hatten ihn uns nach einem Blick auf die Karte ausgesucht. Der Fahrer war ein kahlköpfiger alter Mann, der auf seine finanziellen Ansprüche pochte. Sein Starrsinn hatte nichts mit der Gefahr zu tun; die Frage war, ob man ihn pro Stunde, nach der Uhr oder pauschal zu bezahlen habe. Schließlich einigten wir uns auf eine Kombination aus allen drei. Dann sagte der Fahrer, diese Fahrt sei möglicherweise gar nicht erlaubt, denn es sah so aus, als befinde der Komatsu-Schrein sich vielleicht – so ein Zufall! – innerhalb des zwangsgeräumten Kreises. Er funkte seinen Chef an, der uns seinen Segen gab, und los ging es. Dass ich das Dosimeter im Auge behielt, muss ich nicht extra sagen; ich rechnete damit, dass die Strahlung sich gemäß Quadratabstandsgesetz entsprechend erhöhte, aber egal, diesem Aspekt der Geschichte habe ich die Spannung schon genommen.
Der Fahrer hatte an jenem Tag erst zwei Fuhren gehabt, beide Male Gutachter von Versicherungsunternehmen, die Erdbebenschäden prüften. Nun sei die Straße frei, fuhr er fort, also werde alles glattgehen. Er plauderte gern und war mir schon lieb geworden. Das Dosimeter hielt sich bei 2,4, und der Abend war wolkenlos, die kahlen Bäume wirkten beinahe schon frühlingshaft. In der Abenddämmerung tauchten noch mehr silbrigweiße Pflaumenblüten auf. Der Fahrer sagte, er sei immer nach Kesennuma feiern gegangen; er war Angler; die Fische bissen dort so gut an. Ich hatte nicht das Herz, ihm zu erzählen, was der Fischer in derorangefarbenen Windjacke mir auf Oshima gesagt hatte – dass es mit der Fischerei dort auf Jahre hinaus vorbei sei. 33
Er sagte, in Koriyama sei es jetzt nachts sehr ruhig.
Wir fuhren die immer weniger befahrene Straße hinauf in immer grünere Hügel und entdeckten hier und da eine lange gerade Reihe Kohl oder jadefarbene, ins Kraut geschossene Zwiebeln. Wir trugen alle einen Mundschutz gegen den Staub. Im Taxi war es heiß; mir wurde unter meinem Mundschutz ein wenig übel, aber ich hielt es für besser, das Fenster nicht herunterzukurbeln. Ob der Fahrer der Kontaminierung wegen besorgt sei? (Wieder war Kontaminierung das Wort, das alle verwendeten; oh, es klang so viel schöner als Radioaktivität !) Überhaupt nicht, gluckste er. »Meine Frau«, lachte er, »die hat mir gesagt, ich soll nicht rausgehen, weil es regnet, aber mich kümmert das überhaupt nicht! Die Regierung sagt immer: keine unmittelbaren Auswirkungen auf Ihre Gesundheit! Ha ha ha! Jeden Tag sagen sie das Strahlungsniveau in der Präfektur an. Verglichen mit einer Röntgenaufnahme, die 600 Sievert hat, klingen die Werte wirklich nicht beunruhigend!«
»Sievert oder Millisievert?«, fragte ich nach.
»Ich glaube, es waren 600«, sagte er unbestimmt, 34 »aber egal wie stark die Kontaminierung ist, man kann es nicht vergleichen. Wir haben nie über diese Dinge nachgedacht.«
Der Kahlkopf des Fahrers war so blassgelb wie die Bambusblätter im Sonnenuntergang, und er wirkte recht fröhlich; die Landstraße führte uns unter blaulila Wolken in lauter Kurven angeblich Funehiki zu, und dann, als der Fahrer uns auf einen schönen Aussichtspunkt für die Kirschblüte hinwies (obwohl es dafür im Jahr noch zu früh war), bogen wir auf die Nationalstraße 288 ab.
Da er im Jahr 1941 geboren war, fragte ich ihn, wie er den Abwurf der beiden Atombomben mit dem Reaktorunfall vergliche, und er sagte: »Als Kind habe ich einen Film gesehen, einen Schwarzweißfilm, der sehr eindringlich die Ruinen von Hiroshima und dem Bikini-Atoll gezeigt hat. Na ja, Koriyama liegt außerhalb des Dreißig-Kilometer-Radius; es ist sogar 60 Kilometer entfernt; aber wenn es eine Wasserstoff-Explosion gibt, habe ich Angst, dass Koriyama geräumt werden muss. Ich bin schon siebzig, wenn man uns sagt, wir müssen weg, habe ich meiner Frau gesagt, wo sollen wir dann hin, nach Sado oder wo? Wenn ich sehe, wie es den Flüchtlingen geht, dann glaube ich, dafür bin ich nicht fit genug! In Koriyama gibt es drei Notaufnahmelager, vor allem für Menschen aus der Zwangsräumungszone rund um den Reaktor. Die meisten leben in einer großen Halle namens Große Palette mit Platz für tausend Menschen. Dann gibt es noch ein Baseballstadion, wo drei- oder vierhundert unterkommen können, und …«
In einer Raststätte, dann an einer Tankstelle große Leuchtkugeln. Wir rollten über den Inasokamatsi-Fluss, dann hinab in eine mit goldenem Gras
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