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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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in der Meiji-Zeit 19 habe man viele Ufergrundstücke hier und anderenorts für die Wiederbesiedlung gesperrt, aber »irgendwie«, fuhr er mit einem Augenzwinkern fort, hätten die Menschen das vergessen oder den Erlass umgangen. Natürlich hätte der jüngste Schrecken auch dann eine Unzahl von Opfern mitgerissen, wenn man dem Erlass gefolgt wäre, weil die Flutwelle höher war als alle, die damals die Menschen der Meiji-Zeit erlebt hatten. Wer will den Einwohnern Oshimas vorwerfen, das nicht vorhergesehen zu haben?
    Die Ingenieure und Vorstandsvorsitzenden der Unternehmen jedoch, die Gouverneure der Präfekturen, die Behörden, deren Aufgabe darin bestehen sollte, die öffentliche Sicherheit zu verbessern, diese Hauptakteure auf der Bühne der Gesellschaft müssen zur Verantwortung gezogen werden, sobald sie sich ihren eigenen aktuellen Bedürfnissen widmen. Mein Grund, standfest gegen die Atomkraft zu sein, ist so offensichtlich, dass es mich immer wieder erstaunt, dass mir nicht jeder Mensch auf Erden beipflichtet: Gefährlich strahlender radioaktiver Abfall muss für Zeiträume gelagert und bewacht werden, die den Bezugsrahmen einer jeden Zivilisation auf irrwitzige Weise sprengen. Könnte man diese verbrauchten Brennstäbe nach, sagen wir, fünf Jahren für harmlos erklären, selbst dann würden Sorglosigkeit und Habgier mich noch beunruhigen, aber ich wäre zumindest bereit, davon auszugehen, dass die Atomkraft nützlich sein könnte. Auch mit dieser Haltung müsste man mich allerdings noch immer zu jenen selbstgefälligen Ignoranten zählen, denen Buddhas Warnung galt.
    Klage und Rechtfertigung der Firma Tepco – wie kann man von uns erwarten, einen so hohen Tsunami vorherzusehen? – sind beinahe legitim, greifen vielleicht aber zu kurz. »Die Kühleinrichtungen haben das Erdbeben unbeschadet überstanden, zumindest zum Teil«, erklärte meine Dolmetscherin. »Zur Katastrophe kam es, weil die Kühleinrichtung vom Tsunami völlig zerstört wurde. Die Kühleinrichtung befand sich dichter am Meeresspiegel als der Reaktor . Man ging von 5,7-Meter-Tsunamis aus, während der Tsunami tatsächlich 14 Meter hoch war.« Hätte Tepco also auf einen 14-Meter-Tsunami vorbereitet sein müssen?
    Wie immer Ihre Antwort auch ausfallen mag, bitte erwägen Sie die Mahnung des Buddha noch ein wenig länger. »Sie hören nicht auf die weisen Lehren; sie versuchen nicht, sie zu verstehen; sie widmen sich einfach den Bedürfnissen des Augenblicks, der Geldgier und der Lust.« Wenn unsere aktuellen Bedürfnisse von uns verlangen, immer mehr Energie zu verbrauchen, dann kann es sein, dass gefährliche Formen der Energiegewinnung akzeptabel werden. Praktisch gesagt, ist jeder einzelne Japaner (oder Amerikaner) dem Bau von Atomkraftwerken gegenüber machtlos. Aber bitte erwägen Sie beim Lesen dieser Geschichte, wie oft Sie die Reaktorkatastrophe von Fukushima sich noch ereignen sehen möchten. Falls Sie mir am Ende beipflichten, sollten Sie ins Auge fassen, in windgeschützte Lagen umzuziehen.
     
     
HIER IST NIEMAND BESONDERS BEUNRUHIGT
     
    Unweit eines unscheinbaren Einkaufszentrums, wo Mitglieder einer Gruppe namens Antiatom mit Petitionen gegen Atomwaffen und -reaktoren hausieren gingen, steht in einem beinahe unbeschädigten Stadtviertel die Sendai City War Reconstruction Memorial Hall, die gerade als Notunterkunft für einunddreißig freiwillig aus Fukushima Evakuierte diente. Man trat durch die Hintertür ein, weil die Eingangshalle nach dem Beben einsturzgefährdet war. In Japan sind die nachbarschaftlichen Beziehungen so eng, dass Gemeinden oft im Ganzen umsiedeln. Daher beherbergte die Memorial Hall Menschen aus einem spezifischen Gebiet: aus dem nördlichen Sektor der strahlenvergifteten Zone.
    Anstatt einen Amtsträger zu suchen, der mir vielleicht den Zutritt verweigert hätte (man hatte mir bereits in verschiedenen Notunterkünften verboten, dort zu übernachten), lauerte ich dem erstbesten nichtuniformierten Menschen auf, der nicht in Eile schien – und landete bei einer ungefähr 25-jährigen Frau mit Brille, die aus dem Bezirk Haramachi-ku der Stadt Minami Soma geflüchtet war.
    Behördlicherseits waren zwei Kreise um das Kraftwerk Nr. 1 gezogen worden. Der innere, mit einem Durchmesser von 20 Kilometern, bezeichnete eine Zone der Zwangsevakuierung. Bewohnern des äußeren Kreises dagegen wurde das Verlassen des Gebietes – auf eigene Kosten – lediglich angeraten; sie durften bleiben, wenn sie wollten, und

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