Spiegelschatten (German Edition)
mit dieser Griet.
Björn würde am Zerbrechen seiner Liebe zugrunde gehen. Er überlegte ja bereits, nach Berlin zu ziehen, nur um Maxim zu halten.
Beim Gedanken daran drehte sich Romy der Magen um. Sie war noch nie längere Zeit von Björn getrennt gewesen, und die Entfernung zwischen Köln und Bonn war das Äußerste, was sie sich vorstellen konnte.
Mühsam konzentrierte sie sich wieder auf das, was sie zu erledigen hatte. Natürlich könnte sie dem Germanistischen Seminar einen Besuch abstatten. Aber sie hatte das Gefühl, sie würde mehr über Leonard Blum erfahren, wenn sie sich unter den Studenten umhörte, solange der Schock noch frisch war.
Sie rief nach der Kellnerin, bezahlte und machte sich auf den Weg.
Nach einer halben Stunde war sie nicht viel klüger als zuvor. Die Beschreibungen ähnelten einander. Leonard Blum sei nett gewesen. Freundlich. Korrekt. Verständnisvoll. Tolerant. Zurückhaltend. Intelligent. Kompetent. Oft ziemlich überarbeitet.
Und schwul.
Jeder in der Uni schien das zu wissen. Offenbar hatte Leonard sich nicht versteckt. Romy begann, ihn sympathisch zu finden. Sie hatte sich Notizen gemacht, weil die Gespräche nicht genug hergegeben hatten, um sie mit dem Diktiergerät aufzunehmen.
Die überflog sie jetzt, auf einer der unteren Stufen der mächtigen Steintreppe sitzend, die zu den Germanisten führte. Anscheinend gab es niemanden, der an Leonard Blum etwas auszusetzen gehabt hatte. Lag es daran, dass man Toten nicht gern Schlechtes nachsagt? Oder war dieser Mann tatsächlich so gewesen, wie seine Studenten und die Angestellten in der Cafeteria ihn beschrieben hatten?
» Jeder Mensch hat Schwächen«, murmelte sie. » Auch du warst nicht ohne Fehl und Tadel, Leonard.«
Immerhin hatte jemand Grund genug gehabt, ihn zu töten.
Sie verstaute das Notizbuch wieder in ihrer Umhängetasche, stand auf und stieg die Treppe hinauf. Vielleicht gelang es ihr, zumindest einen Kratzer im Lack des Opfers zu finden.
Tut mir leid, dachte sie. Ich will deinen Ruf nicht beschädigen, Leonard. Ich will nur verstehen, warum es jemanden gibt, der dir nach dem Leben getrachtet hat.
Es war nicht schwer, in die Bibliotheksräume zu gelangen. Es war auch kein Problem, die wenigen Studenten anzusprechen, die hier arbeiteten. Bis Anfang April waren Semesterferien. Erst danach würde sich die Uni wieder füllen.
Romy erfuhr nicht mehr, als sie in der Cafeteria herausgefunden hatte.
Sie versuchte es bei der Bibliothekarin, die ihren Fragen jedoch auswich, als hätte sie Angst, zu viel zu verraten.
Enttäuscht ging Romy zur Tiefgarage zurück, setzte sich in ihren Wagen, programmierte ihr transportables Navigationsgerät und befestigte es in der Halterung. Zwar wusste sie ungefähr, wo die Krementzstraße lag, mit Navi jedoch würde sie bequemer hinfinden.
Sie brauchte dringend ein paar aussagekräftige Informationen, denn sie würde Greg heute noch Bericht erstatten müssen. Außerdem hatte sie nicht unbegrenzt Zeit, da sie noch einige kleinere Arbeiten für ihn erledigen musste. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das alles bis zum Abend bewältigen sollte.
Das Haus in Köln, in dem Leonard gewohnt hatte und ermordet worden war, hätte sie zuallererst besuchen sollen. Der Grund, warum sie es nicht getan hatte, hieß Björn. Sie hatte die Gelegenheit, nach Bonn zu fahren, mit beiden Händen beim Schopf ergriffen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Berufliches und Privates zu vermischen, war in höchstem Maße unprofessionell.
Romy hoffte, das nicht vor Greg eingestehen zu müssen. Sie hoffte, dass er keine Fragen zu ihrer Vorgehensweise stellen würde. Vor allem aber hoffte sie, ihn mit Ergebnissen überraschen zu können.
Als Leonard Blums Vermieter sie misstrauisch durch den Türspalt musterte, griff sie instinktiv zu einer Lüge, damit er sich nicht gleich wieder zurückzog.
» Ich bin eine Freundin von Herrn Blum«, sagte sie. » Wir hatten eine Verabredung, aber jetzt macht er nicht auf. Sie wissen nicht zufällig, wo er ist?«
Er zögerte.
» Ich habe eine lange Autofahrt hinter mir«, log Romy weiter. » Ich komme aus Dresden. Bin in aller Herrgottsfrühe losgefahren.«
Herrgottsfrühe. Was für ein seltsames Wort. Und wie kam sie ausgerechnet auf Dresden? Vielleicht lag es an den Fotos, die sie vor Kurzem in irgendeiner Zeitschrift gesehen hatte. Prächtige alte Gebäude mit goldenen und grünen Kupferdächern, die in der Sonne schimmerten und glänzten. Tausendundeine Nacht
Weitere Kostenlose Bücher