Spieglein, Spieglein an der Wand
immer noch dahin?“
Rasmus wirft den Kopf in den Nacken und lacht. „Natürlich nicht!“
Wir gehen auf der Strøget entlang, wo nicht einmal der Schneesturm die Bettler und Blumenverkäufer hat vertreiben können. Mädchen wackeln auf hohen Absätzen durch den Schnee. Typen mit Flaschen in der Hand atmen ihre Schnapsfahnen aus. Es liegt eine Stimmung in der Luft, die nach sinnlosem Sex oder hohler Gewalt riecht.
Drei Schränke mit tätowierten Hälsen kommen direkt auf uns zu.
„Halfbrains coming our way“, murmelt Rasmus.
Ich antworte nicht. Halbhirn oder nicht: Es ist trotzdem nicht ausgeschlossen, dass sie ein gutes Gehör haben. Die Typen gehen an uns vorbei, sie haben Rasmus im Visier. Einer von ihnen stößt ein Grunzen aus, das wohl ein höhnisches Lachen darstellen soll. Wahrscheinlich fühlen sie sich von Rasmus’ Frisur und seinem weißen, engen Jackett provoziert.
Als wir sie etwa zehn Meter hinter uns gelassen haben, dreht Rasmus sich um und ruft: „Gib’s zu, du würdest doch selbst gern so rumlaufen, du bist nur zu feige!“
Auf einen Schlag entweicht alles Blut aus meinen inneren Organen. Was denkt er sich bloß?
Brutalo und seine Freunde bleiben stehen und drehen sich um. Wie auf Kommando scheinen ihre Arme zu wachsen, die Nacken gehen in die Breite, die Stirnen runzeln sich tief über ihre Augen. Drei mal vier Gehirnzellen überlegen angestrengt, ob wir den Ärger wert sind. Immerhin ist die Nacht noch jung.Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, ein paar Miezen abzuschleppen, und dann wäre es dumm, seine Kräfte schon jetzt damit zu verschwenden, uns zu vermöbeln. Brutalo Nummer eins grunzt seinen Kumpanen etwas zu. Sie schicken uns ein paar drohende Blicke, dann drehen sie sich mit der Eleganz von Mähdreschern um und gehen weiter.
Ich wende mich Rasmus zu. „Du bereust es nicht einmal!“
„Nee, zum Glück nicht.“
Das Close liegt in einer Seitenstraße hinter dem Nytorv. Es ist zum Bersten gefüllt und die Heizung läuft volle Kanne, sodass es nur so dampft von nassen Klamotten und Schweiß. Wir schälen uns aus den Jacken und schieben uns zur Bar. Rasmus lehnt sich über den Tresen und nimmt Kontakt zu dem gestressten Barkeeper auf.
„Ist Lasse da?“
„Welcher Lasse?“
„Du weißt genau, wen ich meine.“
„Ich hab ihn noch nicht gesehen, Honey. Willst du irgendetwas trinken?“
Rasmus dreht sich zu mir um: „Bier oder Drinks?“
„Ein Bier vom Fass. Groß.“
Ich habe keine Geduld, lange auf einen Drink zu warten. Die Leute drängeln sich von hinten gegen mich. Ein Typ hebt den Arm und winkt dem Barkeeper zu, sodass ich in seine schwitzende Achselhöhle gepresst werde. Rasmus verschwindet in der dampfenden Menge, während der Barkeeper zwei Biere auf den Tresen stellt. Er sieht mich prüfend an. Vielleicht glaubt er, ich wäre noch nicht achtzehn. Das fiese Gefühl früherer Zurückweisungen von Türstehern und Barkeepern brennt mir im Magen. Dieser Blick. Abschätzend. Bald wird er mich nach meinem Perso fragen und die Demütigung ist perfekt. Ich bin kurz davor, mich zu verteidigen, als er endlich etwas sagt.
„Das macht sechsundneunzig Kronen!“
Ich krame einen Schein hervor und werfe ihn auf den Tresen. Der Barmann verdreht nicht gerade dezent die Augen, als ich mir sofort die Biere kralle und auf mein Wechselgeld verzichte. Es ist kein freier Tisch in Sicht, aber Rasmus hat eine Nische gefunden, in der wir auf Stapeln von Gratiszeitungen sitzen können.
„Ist hier immer so viel los?“
„Pretty much“, antwortet Rasmus und scannt die Leute ab. Er sucht eindeutig jemanden.
„Wer ist Lasse?“
„Niemand Besonderes.“
„Wenn er kurze Haare hat und ein T-Shirt trägt, steht er direkt da drüben“, sage ich und zeige in alle Richtungen. Acht von zehn Gästen sind Männer und alle sehen gleich aus. „Ist das hier etwa ’ne Schwulenbar?“
„Diese Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten.“
Eine Bar genau nach meinem Geschmack: total überfüllt und keinerlei Chance, jemanden kennenzulernen – es sei denn, ich ändere meine sexuelle Orientierung. Und vielleicht nicht einmal dann, denn die Typen hier schauen mich nicht mal eine Viertelsekunde lang an, bis sie ihren Blick weiterwandern lassen. Vielleicht können sie mir ansehen, dass ich Hetero bin. Oder ich stehe für sie einfach gar nicht erst zur Diskussion, darin würden sie zumindest mit allen weiblichen Wesen auf meinem Gymnasium übereinstimmen.
„Warum wolltest du denn
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