Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
Aus der Chronik Nymaths
Aufgezeichnet im Jahre 15 nach Ankunft von Isben Adu vom Blute der Fath, Hofschreiber des Hohen Rates von Sanforan
Es begab sich zu der Zeit, da König Sanforan vom Blute der Onur in zwölfter Linie seine Hand zum Wohle über Andaurien breitete, dass große Plagen und schlimme Nöte das blühende Land heimsuchten.
Die Quellen versiegten, die Felder verdorrten, das Vieh dürstete, und das Volk litt große Not. Sanforan aber war ein gütiger König, der sein Volk liebte und die ihm auferlegte Verantwortung sehr ernst nahm. In der Hoffnung, die Zeiten würden sich zum Besseren wenden, ließ er die königlichen Speicher öffnen und Getreidevorräte an die hungernde Bevölkerung verteilen.
Doch der Winter verstrich, und als auch der Lenz nicht den ersehnten Regen brachte, gerieten die andaurischen Stämme in Streit um Korn und Quell. Hungernde Horden durchzogen die Lande, raubten das Vieh und plünderten jene, die Vorräte hatten anlegen können. Es wurde gemordet und gebrandschatzt, und ein allgewaltiger Sturm der Verwüstung brach über das Land herein, worauf die Not das tägliche Brot der Menschen und der Tod ein häufiger Gast in ihren Häusern war.
König Sanforan rief die Weisen aller Stämme zu sich an den Hof. Doch auch die Seher, Sterndeuter und Auguren wussten keinen Rat. Die Gebete blieben unerhört, und die dargebrachten Opfergaben verrotteten auf den Altären.
In ihrer Not schworen viele Stämme den alten Göttern ab und gaben sich einer uralten dunklen Gottheit anheim, deren Gunst sie sich mit Blutopfern und grausamen Ritualen zu erkaufen hofften. Der Name jenes Gottes durfte seinerzeit in Andaurien nicht genannt werden, und seine Altäre waren ob seiner Grausamkeit streng verboten.
Der Lesende und Wissende möge uns vergeben, dass wir den Namen des verbotenen Gottes auch an dieser Stelle nicht kundzutun wagen. Zu groß wäre die Gefahr, dass des Bösen Hand und Schatten auch jene erreiche, die sich seiner Gewalt zu widersetzen wagten und die fern ihrer Wurzeln eine neue Heimat und ein freies Leben fanden.
Anders als die alten Götter erhörte dieser Gott die Menschen, und fortan kam der ersehnte Regen zu jenen, die seinem Blutdurst Tribut zollten. Je üppiger die Opfer, desto blühender erhoben sich die Lande aus dem Staub.
Bald opferten die mächtigen Stammefürsten in ihrer unstillbaren Gier nach Macht selbst unschuldiges Blut aus den eigenen Reihen, das sich in Strömen über die schwarzen Altäre ergoss.
König Sanforan gewahrte mit Schrecken, was der dunkle Gott unter seinem Volk anrichtete. Mit Strenge und harten Strafen versuchte er, die alte Ordnung wieder herzustellen. Doch nur wenige hielten ihrem König noch die Treue. Der verwerfliche Glauben hatte bereits zahlreiche Gefolgsleute in seinen Bann geschlagen und ihre Herzen mit seinem kalten Hauch vergiftet.
Es geht die Sage, dem König sei in dieser dunklen Zeit nächtens ein Geheimnisvolles Katzenwesen aus dem mystischen Walde Andauriens erschienen, um ihm einen letzten Ausweg zu weisen.
So erhielt König Sanforan Kunde von einem Land jenseits der endlosen Wüste und hinter dem großen Gebirge, das ihm als Zufluchtsort verheißen wurde. Doch der König wollte Andaurien dem Erzfeind nicht ohne Gegenwehr überlassen und gab den Befehl, eine letzte Schlacht gegen das Böse zu schlagen.
Noch einmal wurden alle Stämme an den Hof gerufen, die der Versuchung des dunklen Gottes widerstanden hatten und dem König als Getreue verblieben waren. Derer waren die Raiden, der Stamm der Falkner, die Katauren, der Stamm der Reiter, die Wunand, der Stamm der Amazonen, und die Onur, der mächtige Stamm der Könige und Schwerter. Gemeinsam wappneten sie sich, den alten Glauben zu verteidigen. Doch war das Böse längst übermächtig geworden. Die Anhänger des dunklen Gottes, die danach trachteten, den König zu stürzen, hatten die Hauptstadt Andauriens umstellt und die königstreuen Truppen eingeschlossen. Die Ebene und die Hügel rings um die Stadt waren schwarz vom Antlitz der Gegner. Bauern, Weibsvolk und Kinder hatten sich bewaffnet und trachteten mit glühendem Blick nach Mord und Vernichtung.
Furcht ergriff die Krieger der vier Stämme, doch König Sanforan sprach zu seinen Mannen: »Ich sehe, das Land ist verloren, nicht aber das alte Blut unseres Volkes. So ziehet nun aus, schart eure Frauen und Kinder um euch und dazu jedes reine Herz, welches ihr noch findet, und sucht den Weg in das verheißene
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