Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
herannahenden Mannes, die sie vor Sekunden noch zu Tode erschreckt hätten. Doch die zum Greifen nahe Straße gab ihr die Kraft und die Überzeugung, nun nicht mehr verlieren zu können. Der weitere Adrenalinschub, ausgelöst durch die näher kommenden Geräusche in ihrem Rücken, tat sein Übriges, um sie voller Kraft voranschreiten zu lassen.
Für diesen Moment spürte sie keine Schmerzen mehr. Alle Gedanken an den Albtraum der letzten Wochen waren verschwunden, verbannt in den hintersten Winkel ihres Gehirns. Leichtfüßig sprang ihr graziler Körper zwei weitere steile Abhänge hinab, rutschte fast drei Meter über den glitschigen Boden, und richtete sich sofort wieder auf. Nach einigen Schritten auf einem annähernd ebenen Stück trennten sie nur noch knapp zwei Höhenmeter von der Straße, die feucht und dunkelgrau unter ihr lag. Als sie sprang, war ihr bewusst, dass sie sich vielleicht ein Bein brechen würde, aber es spielte keine Rolle. Sie würde gerettet sein, und nur das zählte. Noch bevor sie den nass glänzenden Asphalt berührte, hörte sie ein unbeherrschtes Brüllen, welches sie, auch ohne die Sprache zu kennen, eindeutig als Fluchen identifizierte. Für sie war es wie eine Bestätigung dafür, dass sie gewonnen hatte.
Ihre Knie und ihre Fußgelenke schmerzten beim Aufprall. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Körper durch den Schwung nach vorne geschleudert wurde. Um nicht frontal mit dem Gesicht aufzuschlagen, drehte sie sich zur Seite. Ihre linke Schulter knallte auf den harten Boden, und das knirschende Geräusch sagte ihr, dass etwas gebrochen war.
Den Bus, der sie erfasste, sah sie nicht. Es wurde einfach dunkel, in dem Moment, in dem ihr Genick von der Stoßstange gebrochen wurde. Ein paar Meter wurde sie mitgeschleift, dann verwandelten die Zwillingsreifen den größten Teil ihres filigranen Körpers in eine unidentifizierbare Masse.
Bald würde sie in den Polizeiakten als ein Unfallopfer geführt, dessen Identität nicht festgestellt werden konnte. Eine Tote, die scheinbar nirgendwo herkam und die niemand kannte … aus einem Waldstück gesprungen wie ein Reh und unter die Räder gekommen … bald vergessen, als hätte es sie nie gegeben.
2 | Ungebeten
Als Sam die Tür öffnete, machte sich Enttäuschung breit. Der Kunde machte nicht den Eindruck eines vielversprechenden Geschäftes. Er sah zwar nicht wirklich ungepflegt aus, besaß aber aus einem unerfindlichen Grund trotzdem das Flair eines Penners. Die dunklen, schulterlangen Haare waren sauber, glatt und gekämmt, wirkten aber dennoch irgendwie verwegen. Aus dem Gesicht blickten zwei schwarze, stechende Augen. Mit der Jeans und der eng geschnittenen Lederjacke passte die Garderobe nicht zu Sams üblicher Klientel. Das war aber nicht der vorrangige Störfaktor, vielmehr die zur Faust geballte rechte Hand, die neben seinem Körper hing, und der herausfordernde Blick. Irgendwie umgab den Mann, der einen Kopf größer als Sam war, eine aggressive Aura.
Sam selbst trug noch nicht die Arbeitskleidung, denn zunächst würde es ein Vorgespräch geben, bei der ein grundlegender Rahmen für die gemeinsamen Handlungen festgelegt wurde. Der weiße Trainingsanzug würde dafür ausreichen.
„Du bist Kai?“
„Das bin ich“, erwiderte der Besucher. Sein Alter mochte Anfang 30 sein. „Und ich freue mich überaus, hier zu sein.“ Das Lächeln, das Kai dabei zum Besten gab, sah mehr bedrohlich als freundlich aus.
‚Na, das kann ja was werden.‘ Sam behielt die Gedanken für sich, hätte aber am liebsten die Tür zugeworfen. Die gegenteiligen Worte kamen jedoch mit einer hereinbittenden Geste: „Dann komm.“
„Aber natürlich komme ich“, nahm Kai die Einladung an und bewegte sich flink in die Wohnung. Als Sam die Tür geschlossen hatte und den frech grinsenden Mann ansah, verstärkte sich das ungute Gefühl. Die Stimme blieb dennoch nüchtern und ruhig: „Du bist nicht aus den am Telefon abgesprochenen Gründen hier.“
Kais Grinsen wurde breiter und noch abstoßender. „Und du bist offenbar gar nicht auf den Kopf gefallen. Dann wollen wir auch gleich mal zur Sache kommen: Ich kann mir einfach vorstellen, dass du jemanden brauchst, der dich beschützt, weißt du.“
„Oh nein, nicht so einer“, sprach Sam angewidert die Gedanken aus und rollte dabei genervt die Augen. „Ich beschütze mich selbst. Wenn das alles ist, was du willst, dann verschwinde!“
„Nicht so voreilig“, antwortete Kai, wobei er die Hand
Weitere Kostenlose Bücher