Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
wieder seine Hand, spürte das Zittern, drückte sie, während sie sagte: „Das weiß ich nicht, Jan. Ich sage nur, dass vieles bei anderen Menschen nicht so ankommt, wie man es meint. Das geht mir auch oft so, nur brauche ich mir keine Gedanken zu machen, ob mir jemand wegläuft.“ Mit einem bitteren Lächeln fügte sie hinzu: „Du bist zum Glück blöd genug, mich so zu ertragen, wie ich bin.“
„Ach, du bist viel zu gut für mich, Samantha. Was würde ich ohne dich nur machen?“
„Denkst du, sie geht zurück nach Brasilien?“, wechselte sie das Thema.
„Natürlich“, war Jan überzeugt. „Was soll sie denn hier, in einem fremden Land, in dem sie niemanden versteht?“
„Meinst du, sie ist bereits im Flieger?“
„Ich weiß es nicht. Keine Ahnung, ob heute Abend überhaupt ein Flug gegangen ist oder ob noch einer geht. Ich weiß nicht mal, woher sie das Geld für einen Flug hat; wahrscheinlich von Freunden geliehen.“
„Sie hatte hier schon eigene Freunde?“ Bei diesen Worten entließ sie seine Hand wieder in die Freiheit.
„Wir haben ein Pärchen in gleicher Konstellation kennen gelernt. Deborah hat Maria in der Volkshochschule im Deutschkurs getroffen. Maria kommt auch aus Brasilien, ihr Mann ist Deutscher. Nach dem Unterricht ist Deborah oft mit zu Maria gefahren, hat dort übernachtet oder ist später von Marias Mann zu mir gefahren worden.“
„Du kennst die beiden aber auch?“
„Ja, da sie am Anfang die gleichen Probleme hatten wie wir, hat sich eine Freundschaft angebahnt. Aber Deborah kannte sie wesentlich besser als ich. Ich habe sie bisher zweimal gesehen.“
„Hast du dort mal angerufen?“, wollte Sam wissen.
„Ehrlich gesagt traue ich mich nicht. Wer weiß, was sie denen über mich erzählt hat, wenn sie dorthin gegangen ist.“ Sein Gesicht spiegelte Resignation wider. Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand massierten sein Ohrläppchen.
„Und was ist mit ihrem Handy? Hast du es da probiert?“
„Sie hat ihre SIM-Karte auf dem Tisch liegen lassen. Natürlich, was soll sie in Brasilien mit der Karte?“
Er kam ihr plötzlich noch viel älter vor. Zwar trennten sie ohnehin fünfzehn Jahre, aber heute schienen es mehr als dreißig zu sein. Von der Sicherheit, die er ausstrahlte, wenn er an der Uni unterrichtete, war jetzt nichts zu spüren. Sein schütteres Haar stand in alle Richtungen ab, als sei er gerade erst aus dem Bett gekommen.
Eine Weile aßen sie schweigend, wobei Jan lustlos in seinem Salat herumstocherte. Sam schmeckte das Fleisch zwar vorzüglich, wirklich genießen konnte sie es jedoch nicht.
Nach einer Weile fragte sie mit vollem Mund: "Willst du heute Nacht bei mir schlafen?“
„Das würde ich sehr gerne, aber ich möchte lieber zu Hause sein, falls Deborah es sich doch anders überlegt und anruft oder sogar nach Hause kommt.“
„Ja, das ist in der Tat besser. Ich glaube, wenn sie kommen sollte, dann wäre es sehr ungeschickt, wenn eine andere Frau bei dir übernachtet. Sonst hätte ich angeboten bei dir zu bleiben.“
„Danke, Sam. Es hilft mir schon, dass wir jetzt reden können.“
Lange diskutierten sie noch über den möglichen Auslöser für Deborahs plötzlichen Abgang, aber sie fanden keine plausible Erklärung. Jans Freundin hatte nie erwähnt, dass sie sich unwohl fühlte. Tags zuvor hatte sie ihm noch gesagt, wie glücklich sie darüber war, in Deutschland zu sein, und dass sie ihn liebte. Kein einziges Mal war es über ihre Lippen gekommen, dass seine Art ihr irgendwie zusetzte. Auch wenn Jan vielleicht Fehler gemacht hatte, so war dies von ihr nie zum Ausdruck gebracht worden.
Am Ende des Abends konnte Sam sich absolut keinen Reim auf das machen, was passiert war.
Gegen ein Uhr fuhr Sam einen stark alkoholisierten Jan nach Hause, der am nächsten Tag sein Auto am Kaisertempel abholen musste.
Als sie endlich in ihr eigenes Bett fiel, konnte sie lange Zeit nicht einschlafen. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um Deborah und ihren überstürzten Aufbruch. Jan tat ihr so leid. Wieder einmal schien es eine Frau zu schaffen, ihn in die Nähe eines seelischen Abgrunds zu treiben. Irgendwann würde er hinunterstürzen. Er war sicher kein einfacher Mann, aber im Kern herzensgut, und ein Verhalten wie das von Deborah hatte er einfach nicht verdient. Nicht so. Nicht ohne ein vorausgehendes Gespräch, ohne eine Chance darauf, eventuelle Fehler zu korrigieren. Offenbar hatte Deborah ihm nicht ein einziges Mal zu verstehen gegeben,
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