Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Spamfilter für den häuslichen Briefkasten?
Gerade wollte sie die Küche verlassen, als sie den Umschlag bemerkte, der ihr aus dem Stapel geglitten und zu Boden gefallen war. Mit einer eleganten, fast tänzerisch anmutenden Bewegung hob sie ihn auf. Als Absender war ein gewisser Notar Dr. iur. Wolfgang Reischelt angegeben. Vermutlich eine der zahllosen Gewinnbenachrichtigungen von einem Gewinnspiel, an dem sie nie teilgenommen hatte. Zu was sollte sie diesmal verleitet werden? Zu einer Kaffeefahrt? Wie viele Leute bekamen die Veranstalter auf diese Weise wohl dazu, Geld für Dinge, die sie nicht brauchten, auszugeben?
Kurz bevor sie den Brief in den Karton fallen ließ, hielt sie inne. Der geplante Kunde war ausgefallen, also hatte sie genug Zeit, warum sich also nicht den Spaß machen? Einerseits genervt von den zahllosen Werbesendungen der Nepper, hatte sie andererseits eine beinahe kindliche Freude daran, in den diversen Briefen nach dem Haken zu suchen. Manchmal waren die Versuche billig und leicht durchschaubar, andere wiederum sehr ausgeklügelt, sodass man jede Formulierung auf die Waagschale legen musste. Bisher hatte Sam aber immer den Punkt gefunden, der den Anbieter davor schützte, dass ein Empfänger den sogenannten Gewinn einklagen konnte.
Schnell riss sie den Umschlag auf und entnahm ihm einen nur einseitigen Brief. Achtlos warf sie das Kuvert in den Altpapierkarton, faltete den Brief auseinander und begann zu lesen.
Sehr geehrte Frau Veselkova,
in meiner Funktion als Notar verwahre ich treuhänderisch ein Dokument, welches ich beauftragt bin, Ihnen mit Vollendung Ihres 25. Lebensjahres auszuhändigen.
Die Recherchen, die erforderlich wurden, um Sie zu ausfindig zu machen, nahmen ein Jahr in Anspruch. Mir ist es daher erst nun möglich, Sie zu unterrichten.
Bitte vereinbaren Sie einen Termin mit unserer Kanzlei, zu dem Sie bitte Ausweispapiere und eine beglaubigte Abschrift Ihrer Geburtsurkunde mitbringen.
Hochachtungsvoll
Dr. iur. Wolfgang Reischelt als Notar
Wow, hochachtungsvoll! Welch antiquierte Ausdrucksweise. Also keine Gewinnbenachrichtigung. Jemand schien es mit einer ganz neuen Masche zu versuchen. Aber wo war der Haken? Es stand ja nicht viel in dem Schreiben. Vermutlich würde sie vor Ort etwas unterschreiben sollen, womit sie dann eine Waschmaschine kaufte oder eine Reise buchte.
Oder konnte es sich um ein rechtschaffenes Schreiben handeln? Aber was für ein ach so wichtiges Dokument konnte da für sie hinterlegt sein? Ging es am Ende um eine Hinterlassenschaft? Aber es gab niemanden, der ihr etwas hinterlassen könnte. Sams Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Das Wissen, wer ihr Vater war, hatte die Mutter mit ins Grab genommen. Die Keuschners, ihre Adoptiveltern, waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, als Sam zehn Jahre alt gewesen war. Sie hatten ihr damals eine beträchtliche Summe hinterlassen, von der sie große Teile auf die hohe Kante gelegt hatte. Das Erbschaftsverfahren war aber längst abgeschlossen, sodass von der Seite nichts mehr kommen konnte.
War es möglich, dass jemand aus dem Heim, in dem sie später gelebt hatte, etwas damit zu tun haben konnte? Wohl kaum.
Was also wollte dieser Notar von ihr? Er war in Frankfurt ansässig. Sam kannte die Bleichstraße, eine Seitenstraße von Frankfurts Einkaufsmeile Nummer Eins, der Zeil. Nachdenklich ging sie ins Wohnzimmer und nahm das Frankfurter Telefonbuch zur Hand. Schnell hatte sie den Eintrag gefunden.
Die Kanzlei existierte tatsächlich. Vielleicht war es eine Briefkastenfirma? Aber es gab eine Frankfurter Telefonnummer dazu. Kurz entschlossen nahm sie das Telefon und rief an. Ein Anrufbeantworter erklärte ihr, dass die Geschäftszeiten von neun bis zwölf, sowie von fünfzehn bis siebzehn Uhr waren. Zwei Stunden zu spät also.
Hörte sich alles seriös an. Merkwürdig. In jedem Fall war es diesmal eine echte Herausforderung. Morgen würde sie dort noch einmal anrufen und einen Termin vereinbaren.
3 | Zerbrochen
Jans gerötete Augen blickten Sam traurig an. „Warum, Samantha? Warum?“, fragte er und nahm einen Schluck des vorzüglichen sardischen Cannonaus aus seinem Rotweinglas.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Sam leise. „Hast du den Brief dabei?“
„Es war kein Brief. Einfach nur ein Zettel.“ Er griff in die Brusttasche seines cremefarbenen Hemdes und beförderte ein Stück Papier zutage. „Auf so einem Schnipsel hat sie mit mir Schluss gemacht.“ Dabei warf er
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