212 - Das Skelett (German Edition)
Prolog
Louise Fichter hatte fe uchte Hände und ein hochrotes Gesicht. Sie war aufgewühlt und innerlich angespannt. Für sie war alles, was folgte - unvorstellbar. Können Menschen aus Fleisch und Blut wirklich so abgrundtief böse sein? Vor Louise lagen die Zeilen eines abscheulichen Mörders. Das war für sie eine unumstößliche Gewissheit. Seit Langem kämpfte sie gegen ihren erhöhten Bluthochdruck mit allerlei Medikamenten an. Ihr Arzt meinte, sie sollte möglichst alle unnötigen Aufregungen vermeiden, auf eine ausgewogene Ernährung achten und sich mehr bewegen. Seitdem fuhr sie auch immer mit ihrem Drahtesel zur Arbeit. Alle Ratschläge machten sich positiv bemerkbar, darüber war sie hocherfreut. Louise wollte noch ihre letzten Jahre genießen, und eine Weltreise stand bald an. Dafür hatte sie jahrelang gespart und viele Entbehrungen hinnehmen müssen.
Nur , ihren derzeitigen Gemütszustand hatten ein Anschreiben und die ersten Seiten dieses ungewöhnlichen Manuskriptes in ihr hervorgerufen. Seit nunmehr achtunddreißig Jahren war Louise Fichter schon als Lektorin im renommierten Dreihorn-Verlag in München angestellt.
Sie beugte sich von ihrer Sessellehne vor und ergriff den Hörer ihres Telefons, das rechts auf dem alten abgewetzten Schreibtisch stand. Fast verkrampft legte sie den Hörer wieder auf. In allen Büros des Verlages hatte das Moderne Einzug gehalten, nur in ihrem kleinen Kämmerlein waren die Spuren eines bewegten Berufslebens erhalten geblieben. Sie wollte keine neuen Möbel oder eine andere Ausstattung.
Das einzige technisch neuzeitliche Produkt war der am Firmennetzwerk angeschlossene Computer und der schon in die Jahre gekommene Zweiundzwanzig-Zoll-Bildschirm.
Louise wollte den Chef des Verlages anrufen und ihm von dem ungeheuerlichen Roman, dieser Lebensbeichte, erzählen. Aber sie konnte es in diesem Moment nicht, genauso wenig wie die Polizei zu benachrichtigen.
Obwohl es wohl ihre erklärte Pflicht gewesen wäre. Sie war sich nicht sicher.
Louise schaute hoch zu einem Wandkalender und zählte ihre letzten verbleibenden Tage, die noch nicht mit ihrem roten Filzstift angekreuzt waren. Es waren nur noch drei. Drei letzte Arbeitstage, dann würde der lang ersehnte Ruhestand beginnen. Warum ereilte sie solch eine makabre Lektüre, kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Verlag? Sie fand keine Antwort darauf. Ihr wurde immer mulmiger zumute, was sollte sie nur tun?
Ihre Pflicht oder? Nein, noch nicht.
Louise wollte es erst zu Hause in Ruhe lesen und dann morgen alles Erforderliche in die Wege leiten. Wenn der Verfasser nicht log, war er sowieso schon tot.
Wahrscheinlich würde ihr Chef es sofort der Kripo übergeben und nicht veröffentlichen dürfen. Dann würde die Geschichte für immer verschwinden. Ja, so würde es wohl kommen. Nein, sie war einfach zu neugierig. Wie viele Manuskripte waren in der Vergangenheit schon durch ihre Hände gegangen? Louise wusste es nicht mehr. Erdachte Geschichten - Schund, Illustres und natürlich auch fantasiereiche, fesselnde Romane aller Art. Ihre liebsten waren Thriller. Bestseller waren dabei und dieses Werk hier? Das einzige Authentische daran, sie musste es unbedingt lesen. Sieben Minuten vor dem Feierabend, Louise wurde noch nervöser. Den ganzen heutigen Dienstag hatte sie neue Manuskripte durchgesehen, nur dieser eine Tag der Woche blieb noch dafür übrig. Nicht eins der Gesichteten blieb auf dem Schreibtisch liegen. Alle verschwanden in der Ablage, im Loch von Nirvana, wie sie es nannte. Keines der heutigen würde den Weg in die Buchläden schaffen.
Aber dieses Werk , welches sie als Letztes dem Stapel entnommen hatte, faszinierte sie, schon das Anschreiben war beängstigend. Sie kannte den Verfasser, wenn er es denn wirklich sein sollte, sogar aus der Klatschpresse. Es war unfassbar – Louise Fichter war bis in ihre Haarspitzen davon überzeugt, dass dieses Buch die unglaubliche Geschichte zweier vollkommen Irrer war.
Das wahre Leben schreibt die tollsten Geschichten. Ein attraktiver und wahrlich erfolgsverwöhnter Prominentenarzt.
E in medialer Sonnenkönig, der wirklich etwas darstellte. Geld und Glamour …
S eine charismatische Persönlichkeit stach aus der Masse heraus, und dennoch war er nur ein Mörder. Dann noch ein skurriler reicher Russe, auch ein ungewöhnlicher Krimineller und eiskalter Mörder.
W as für eine dubiose Mischung!
Louise riss sich aus ihren Gedanken, steckte das lose Blattwerk
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