Spiel Der Sehnsucht
es heißer. Es begann an diesem Tag zu brennen, und dieses Brennen wurde stärker mit jeder Ungerech-tigkeit, die ihm in den folgenden Monaten und Jahren zugefügt wurde. Es verzehrte ihn mit unbeschreiblicher Macht und schrie nach Vergeltung.
Zu jener Zeit wußte er noch nicht, wie oder an wem er sich rächen konnte, doch der Tag sollte kommen, an dem der Weg zur Vergeltung klar vor ihm lag.
1
London, März 1829
Ivan Thornton hielt kurz inne, bevor er die Treppe hin-aufstieg. Gleich würde es beginnen. Und richtig, ein Raunen ging durch die Menschenansammlung im Ballsaal -
zuerst eine kurze Pause in den Gesprächen, dann setzte ein eifriges Tuscheln ein.
»Das ist Lord Westcott.«
»Der neue Graf von Westcott.«
»Westcotts Zigeunerbastard.«
Ivan brauchte die Worte nicht zu hören, um zu wissen, was gesagt wurde. Seit mehr als zwanzig Jahren mußte er sich das anhören, und Schlimmeres als das. Seit er als Siebenjähriger den Armen seiner Mutter entrissen worden war, hatte er gelernt, sich gegen seine Peiniger zur Wehr zu setzen. Und seither hatte er sich in einem ständigen Kampf befunden.
Doch er hatte inzwischen auch gelernt, daß es bessere Methoden gab, als sich mit Fäusten, Degen oder Pistolen für das zu rächen, was sie ihm angetan hatten, diese Esel, die sich für das Salz der Erde hielten.
Gelangweilt ließ er, ganz der reiche, junge Lord, seinen Blick nächlässig durch den Raum schweifen, wobei ihm nicht die kleinste Einzelheit entging. Die älteren Männer begannen bereits, sich zum Spielzimmer mit seinem un-erschöpflichen Vorrat an Brandy und Zigarren zurückzuziehen. Die Matronen und Anstandsdamen säumten in Grüppchen den Rand des Ballsaals und hatten ein wachsames Auge auf ihre Schutzbefohlenen, während sie unermüdlich über Kleider, Frisuren, Geld oder Titel der Tänzer und Tänzerinnen schwatzten.
Auch die Objekte ihrer Wachsamkeit, unschuldige, weißgekleidete Mädchen, die in dieser Saison zum ersten Mal in der Gesellschaft erschienen, standen in kleinen Gruppen beieinander. Sie hatten ausgiebig gekichert, mit ihren Fächern gewedelt und mit den anwesenden Jüng-lingen geflirtet, doch nun starrten sie mit großen Augen auf Ivan.
Der bezwang den Wunsch, sie anzufauchen und die ganze Schar dummer Gänschen hilfesuchend in die Arme ihrer Mütter zu scheuchen.
Beherrsche dich. Endlich lag die Vergeltung in Reichweite. Er wollte sich nicht alles wegen einiger herausge-putzter, ungezogener Gören verderben. Bevor diese Saison vorüber war, würde jede von ihnen schmachtend zu seinen Füßen liegen. Jede Mutter und jeder Vater sollten danach lechzen, die eigene Familie mit dem Namen Westcott zu vereinen.
Und er würde endlich die Möglichkeit haben, sich an seiner herzlosen Großmutter zu rächen.
»Nun, Westcott, hättest du dir träumen lassen, daß du eines Tages der beachtetste Junggeselle von ganz London sein würdest?« Elliot Pierce gab Ivan einen kräftigen Stoß in die Rippen. »Los, Mann, laß dich vom Haushofmeister ankündigen! Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, wild zu spielen, viel zu trinken und mindestens zwei Hausmädchen zu verführen.«
Ohne zu antworten trat Ivan vor.
»Ivan Thornton, Graf von Westcott, Viscount Seaforth, Baron Turner«, rief der hochnäsige Bedienstete mit tö-
nender Stimme.
Sogar die Diener verachten mich, dachte Ivan. Doch das machte ihm schon seit Jahren nichts mehr aus. Und inzwischen besaß er Titel und genügend Geld, um Herren und Diener nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Er zupfte an seinen Manschetten und schritt dann fünf breite, teppichbedeckte Stufen hinab auf sein Schlacht-feld. Nach ihm wurden seine drei besten Freunde angekündigt. Seine einzigen Freunde.
Mister Elliot Pierce und Mister Giles Dameron wurden von der neugierigen Menge, die sich bei dieser Abendge-Seilschaft versammelt hatte, wenig beachtet. Als jedoch Mister Alexander Blackburns Name ausgerufen wurde, begann das Geraune von neuem.
Ein Bastard-Graf und ein Bastard-Prinz - der Graf im Besitz seiner Titel und unermeßlicher Reichtümer, der Prinz verleugnet und arm wie eine Kirchenmaus. Doch jedermann wußte, daß sich das schnell ändern konnte, wenn der König starb.
Man schloß, daß auch ihre beiden unbekannten Begleiter Bastarde sein mußten, denn alle kamen aus Burford Hall, der Schule, die überall unter dem Namen Bastard Hall geläufig war.
Ob man im Publikum erschreckt oder fasziniert war, abgestoßen von der zweifelhaften Herkunft des jungen
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