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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sissi Flegel
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Kapitel 1

Sonntag, 17. Februar

    »Das wär’s«, sagte Charly energisch, setzte sich auf den großen Koffer, drückte den Deckel herunter und ließ die beiden Schlösser einschnappen. »Alles drin, Ma. Wir haben nichts vergessen.«
    »Bist du sicher, Kind?« Zina Wyss runzelte die Stirn. »Fünf Schlafanzüge, drei Nachthemden. Das sollte reichen. Aber ich weiß nicht, ob ich nicht doch noch etwas Unterwäsche kaufen sollte.«
    »Es gibt Waschmaschinen, falls dir das bisher entgangen ist«, meinte Charly fröhlich. »Möchtest du uns nicht eine letzte Tasse Café Latte kochen?«
    »Wenn du meinst. Kommst du mit in die Küche?«
    »Bin gleich bei dir.« Charly kreuzte die Arme vor der Brust und wartete, bis ihre Mutter das Zimmer verlassen hatte. Ihr Blick streifte die beiden Koffer, in die ihre Mutter ihre Kleidung gepackt hatte, sauber gewaschen und liebevoll zusammengelegt natürlich. Sie blickte auf die Tasche mit den Schuhen, die geräumige Reisetasche mit ihren Schulbüchern, den Beutel mit allerlei Krimskrams und den schicken roten Lederbehälter fürs Waschzeug und die Kosmetika.
    Sie nickte zufrieden, streifte die Schuhe von den Füßen, griff nach einem Müllbeutel, schüttelte ihn auf und sprang mit einem Satz aufs Bett. Mit raschen Bewegungen riss sie
die Poster von der Wand: das lange Panoramabild der Schweizer Alpen, ein Foto vom Matterhorn, eines vom Slalomrennen der Damen, ein Ausschnitt der rabenschwarzen, sehr schwierigen Piste vom Klein-Matterhorn-Rosa im Morgendunst. Sie knüllte die Poster zusammen und stopfte sie in den Sack. Dann nahm sie eine nach der anderen die gerahmten Urkunden von der Wand: Siegerin beim Abfahrtslauf der Zwölfjährigen, zweiter Platz beim Abfahrtslauf der Dreizehnjährigen, Siegerin beim Slalom der Vierzehnjährigen, der Fünfzehnjährigen.
    Charly machte sich nicht die Mühe, die Urkunden aus ihren Rahmen zu lösen, sie schmetterte jede einzelne gegen ihr Knie, sodass Glassplitter aufs Bett regneten und das Papier riss, drückte ein-, zweimal die hölzernen Rahmen zusammen und warf sie, wie auch eine Handvoll Medaillen, in den Sack.
    Da, wo die Poster, die Urkunden und die Medaillen gehangen hatten, waren jetzt helle Erinnerungs-Flecke auf der Tapete. Die muss unbedingt neu gestrichen werden , dachte Charly und hüpfte vom Bett. Es schepperte, als sie den Sack neben ihren kleinen Schreibtisch stellte, auf dem das schwarze Kästchen mit der Sammlung ihrer schmalen Armreifen stand. Sechs Stück waren es, drei silberne und drei goldene, die streifte sie über ihre rechte Hand, dann zog sie die obere Schublade heraus und entsorgte den ganzen Schulmüll, der sich über die Jahre angesammelt hatte.
    Als die Schublade bis auf ein paar Kekskrümel und steinharte Gummibärchen leer war, schob sie sie zu, warf die rotblonden Locken nach hinten, kniete nieder, zögerte, gab sich einen Ruck und zog langsam die untere Schublade heraus.
    Sie schien leer - doch ganz hinten lag ein Bündelchen.
Keine Briefe, sondern Zettelchen und Zettel, zusammengehalten von einem roten Gummiband. Sie zog es ab, schnellte mühelos hoch, rannte ins Badezimmer nebenan, ließ zuerst das Gummiband, dann ein Zettelchen nach dem anderen in die Kloschüssel fallen und drückte so lange die Spülung, bis nichts mehr im Wasser trudelte.
    »Der Kaffee ist fertig!«, rief ihre Mutter von unten herauf.
    »Komme sofort«, schrie Charly und rannte in ihr Zimmer zurück. Mit einem schnellen Fußtritt schloss sie die Schublade und schaute sich in ihrem Zimmer um. Die Bilder- und Mädchenbücher standen noch im Regal, aber gegen die hatte sie nichts, die konnten bleiben. Der Schrank, die Wäschekommode und der Schreibtisch waren ausgeräumt, die Bettwäsche würde ihre Mutter abziehen - blieb nur noch eins, was sie erledigen musste.
    Sie hob die Matratze etwas an und zog ein Medaillon an einer Kette hervor. Charly schnupperte daran, verzog das Gesicht; es roch nach nichts mehr, einfach nur nach nichts. Der Verschluss schnappte auf. Mit dem Fingernagel löste sie das ovale Bildchen, wollte es schon zerreißen, überlegte es sich anders, legte das Papierchen mit der Bildseite nach unten zurück, schloss das Medaillon und ließ es in die Tasche ihrer Jeans gleiten.
    »Wo bleibst du denn nur so lange?« Ihre Mutter stand plötzlich in der Tür, in jeder Hand einen Becher, und schnappte entsetzt nach Luft. »Charly! Bist du wahnsinnig? Was hast du mit deinen Urkunden und Medaillen gemacht?« Sie stellte die Becher

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