Spiel des Lebens 1
aus sich machen können, wenn er einfach seinen Frieden mit Emily geschlossen hätte? Aber vielleicht war es genau das, was ihn antrieb. Und wenn diese Möglichkeit nicht mehr da war, war vielleicht sein gesamtes Leben sinnlos geworden. Ihr Plan hatte funktioniert. Indem Emily ihm mit ihrem eigenen Tod gedroht hatte, drohte sie ihm das wegzunehmen, wofür er existierte.
Ihre Mum und ihr Dad, sie schwiegen nicht länger. Sie redeten und redeten. Über die Entführung von Emily damals. Über die Angst, die sie ausgestanden hatten. Über die Jahre danach, in der Jack als Bedrohung stetig im Hintergrund gelauert hatte, jemand, der immer und überall wieder zuschlagen konnte und ihnen das Wichtigste nehmen würde, was sie hatten. Emily.
Und in ihrer Angst hatte sie eine andere Bedrohung völlig übersehen. Denn so wie Emily damals entführt worden war, wurden ihre Eltern dreizehn Jahre später auch entführt.
Emily ließ sie reden, aber sie spürte, dass sie noch lange damit zu kämpfen hatte, was passiert war. Und sie wusste, dass sie und ihre Eltern das nicht allein unter sich ausmachen konnten. Deswegen hatte sie darauf bestanden, dass ihr jemand zur Seite stand, jemand, der ihr erklären konnte, was die Lügen und Unwahrheiten ihrer Eltern mit ihr in all den Jahren gemacht hatten.
Merkwürdigerweise war ihre Wahl auf Dr. Johnson gefallen. Sie wusste auch nicht, warum, aber irgendetwas hatte er an sich gehabt, das Emily das Vertrauen gab, er wäre der Richtige.
Vielleicht lag es daran, dass Ryan so viel von ihm hielt und ihr Dr. Johnson empfohlen hatte.
»Wir haben da noch jemanden für Sie«, hatte Miss Bloom vor ein paar Tagen in ihrem Zimmer im Krankenhaus feierlich verkündet. »Er wartet draußen.« Sie hatte die Augenbrauen gehoben. »Darf er reinkommen?«
Emilys Augen hatten aufgeleuchtet. Sie hatte nur nicken können.
Da hatte sich die Tür geöffnet, und es war Ryan gewesen. Ryan, der Carter noch ein wenig mürrisch angeblickt hatte, aber dann auch wieder seinen Frieden mit ihm geschlossen hatte, Ryan, der Tag und Nacht nicht von ihrer Seite gewichen war.
Und auch mit ihm wollte sie über das reden, was passiert war, machte immer wieder einen Anlauf. Was wollte sie ihm alles sagen. Dass sie nie geglaubt hatte, dass er es war. Dass es ihr leidtat, überhaupt auf Carter gehört zu haben. Und dass sie an diesem verfluchten Vorabend vor ihrem Geburtstag fast erleichtert gewesen war, als sich herausstellte, dass es Jonathan war, der sie jagte, auch wenn das bedeutete, dass sie weiterhin in Gefahr war. Und dass jetzt ja wirklich alles vorbei war.
Aber er legte ihr jedes Mal den Finger auf den Mund und lächelte sein verschmitztes Lächeln und sagte: »Warte noch ein wenig. Wir haben alle Zeit der Welt.« Und jedes Mal, nachdem er das gesagt hatte, küsste er sie, bis Emily irgendwann begriff, dass sie gar nichts mehr erklären musste. Sondern dass sie sich auch ohne Worte verstanden.
Denn reden musste man nur, wenn Dinge nicht klar waren. Aber hier waren sie es. Und so brauchten sie keine Worte. Sie wussten nur, dass sie da waren. Jeder für den anderen. Und das es so bleiben würde. Am besten für immer.
57
M eine Damen und Herren, wir begrüßen Sie an Bord des British Airways Fluges BA 0185 von London Heathrow nach New York John F. Kennedy Airport. Wir werden gleich die Triebwerke starten und pünktlich um 11:25 Uhr abfliegen. Die Reisezeit wird voraussichtlich acht Stunden und fünfundvierzig Minuten betragen. Hier im Cockpit begrüßen Sie … «
Emily griff Ryans Hand.
New York , dachte sie. Eine neue Zukunft. So hatten es schon Tausende von Einwanderern im 18. und 19. Jahrhundert gemacht, die in die Neue Welt gereist waren.
Die Columbia University in New York erwartete sie. Dort würde sie ihr Studium fortsetzen. Und nicht nur sie. Denn Ryan hatte keine Sekunde gezögert. »Klar komme ich mit«, hatte er gesagt. Und dafür hatte sie ihn noch mehr geliebt.
Emilys Eltern hatten eingewilligt. Sie wussten, dass es der richtige Schritt war. Sie hatten gemerkt, dass Emily Abstand von London brauchte. Abstand von der Jagd durch U-Bahn-Schächte, Bibliotheken und nächtliche Straßen. Abstand von Jonathan, der, obwohl tot, noch überall präsent war, und vor allem Abstand von dem Spiel. Dem Spiel des Lebens , das sie zu spielen gezwungen worden war.
Sieg oder Tod , hatte Jonathan geschrieben.
Und sie hatte gewonnen.
Langsam setzte sich das Flugzeug in Bewegung. Emily mochte das Fliegen nicht, sie
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