Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
My home is my castle
(Edward Coke, 16. Jh., englischer Jurist und Politiker)
»Du solltest jetzt lieber das Haus verlassen«, warnte mich Leonardo di Caprio, »es könnte jeden Moment zusammenbrechen.«
Tatsächlich rieselte schon der Putz von der Decke. Von ferne war ein Rumpeln zu spüren, das ständig näher kam. Schließlich erfasste es die Mauern des Hauses und brachte es zum Wanken. Es war nur noch eine Sache von Sekunden, bis es einstürzen würde. Leonardo DiCaprio schien sich nicht daran zu stören. Für mich war jedoch alles bitterer Ernst. Um mich herum wackelte und dröhnte es, Putz fiel von den Wänden, Mauerstücke lösten sich, ganze Betonplatten barsten heraus und krachten direkt vor meinen Füßen zu Boden. Ich schmeckte den staubigen Mörtel auf der Zunge.
Es war mir peinlich, aber ich musste vor Leonardo ausspucken, der Geschmack war einfach zu eklig. Zum Glück schaute er gerade nicht hin, sondern verfolgte mit Interesse, wie meine Habseligkeiten nach und nach unter den herabstürzenden Trümmerstücken begraben wurden und das Haus sich stückweise in eine Ruine verwandelte. Mein Kleiderschrank hielt noch eine Weile stand, dann brach er auseinander und versank im Schutt. Ein paar Schuhe flogen durch die Gegend und landeten verdreckt und zerfetzt in der Ecke. Es waren die teuren italienischen Pumps, die ich mir neulich in einem Anfall von Leichtsinn gegönnt hatte.
»Hilf mir!«, flehte ich Leonardo an.
Doch er lächelte nur bedauernd und strich sich mit beiden Händen den Mörtelstaub von seinem makellosen Smoking. »Da musst du jetzt durch«, sagte er. »Nur aus dem Zusammenbruch kann Neues entstehen. Du weißt schon, wie Phönix aus der Asche und so.«
Während ich noch überlegte, was er mir damit sagen wollte, knallte ein riesiges Trümmerstück aus der Decke auf meinen Kopf.
Vor meinem geistigen Auge blinkte eine Schlagzeile auf.
Frau im Schlaf von einstürzendem Dach erschlagen – sie ahnte nichts Böses und war sofort tot.
*
Ruckartig fuhr ich hoch, ich musste ein paar Mal heftig Luft holen, bis ich die Benommenheit abgeschüttelt hatte.
Es hatte sich so echt angefühlt! Das war leider der Fehler an den wirklich guten Filmen. Sie beeindruckten einen so sehr, dass sie einen bis in die Träume verfolgten. Eine Zeit lang hatte ich beispielsweise geträumt, mit einem gut aussehenden, muskulösen Avatar auf einem feuerroten Drachen über Pandora zu fliegen. Einmal hatte der Drache Schlagseite bekommen, weil ich zu viel wog, jedenfalls behauptete der Avatar das, während wir trotz der geringen Schwerkraft des Planeten rasend schnell an Höhe verloren.
Gleich am nächsten Tag hatte ich mit Saftfasten angefangen.
Im Jahr darauf gingen die Albträume über die zusammenbrechenden Häuser los, gleich nachdem ich Inception gesehen hatte. Diese Träume hatte ich leider immer noch ziemlich oft, vielleicht auch deshalb, weil ich mir den Film nicht nur im Kino, sondern später auch noch einmal auf DVD angeschaut hatte. Meine Freundin Berit meinte, wenn ich weiter solche Albträume hätte, müsse ich in Betracht ziehen, mich in Therapie zu begeben. Doch ich hoffte, dass es von allein nachließ. Allerdings gab es Grund, daran zu zweifeln, denn gerade der Ruinen-Traum hatte starke Bezüge zur Realität.
Ich setzte mich im Bett auf, knipste die Nachttischlampe an und wischte mir den Mörtelstaub ab, der über Nacht auf mich herabgerieselt war. In meinem Zimmer war die Decke nicht tapeziert, sondern mit Feinputz versehen, der seine besten Jahre schon lange hinter sich hatte. Er löste sich allmählich in Wohlgefallen auf, nur dass diese Floskel in dem Fall nicht wirklich passte, denn von gefallen konnte keine Rede sein, es sei denn im Sinne von runter gefallen. Ich hatte mein Bett schon ein paar Mal verschoben, doch die Rieselstellen breiteten sich aus. Fast so, als verfolgten sie mich.
Mühsam kämpfte ich mich aus dem Bett und tastete gleichzeitig nach der Nachttischlampe. Die Leuchtziffern auf dem Wecker zeigten halb sechs. Ich hätte mich noch für eine halbe Stunde aufs Ohr legen können, doch es war besser, wenn ich als Erste ins Bad ging. Später könnte es knapp werden. Wenn sich vier Personen ein Badezimmer teilen mussten, hatten nur Frühaufsteher gute Karten. Wer unbedingt länger schlafen wollte, musste ohne zu duschen aus dem Haus. Neuerdings konnte der ungeduschte Zustand allerdings auch mit dem Boiler zusammenhängen. Irgendetwas hinderte ihn daran, zuverlässig warmes Wasser
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