Spiel des Lebens 1
Finanzmanagement machen, wobei sie den Knochenjob ihres Vaters, der in der City of London arbeitete, nicht unbedingt nachahmenswert fand.
»Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind « , hatte Pete, der Leiter der Studentenvereinigung vom King’s College letzte Woche auf einer Vorab-Info-Veranstaltung verkündet, ein hagerer Rotschopf, der ein blaues T-Shirt mit Aufschrift der Elite-Universität trug. Auf der Veranstaltung hatte er den neuen Studenten die Dienste der Studentenvereinigung erläutert. Einer dieser Dienste war eine eigene Disco, die auf dem Campus betrieben wurde, nämlich der Tutu’s Nightclub , benannt nach Desmond Tutu, dem früheren Erzbischof von Südafrika und ebenfalls ein Absolvent des King’s College. Dieser Club genoss sowohl bei Studenten als auch bei Externen Kultstatus, schon allein aufgrund der niedrigen Getränkepreise und der häufigen, exzessiven Partys. »Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind «, hatte Pete also verkündet und an seinem T-Shirt herumgezupft. »Seht zu, dass es auch so sein wird.«
Vielleicht war es wirklich das Neue und das Ungewisse, das Emily nicht schlafen ließ. Noch gestern hatte ihre Mutter die letzten Sachen aus ihrem Zimmer vorbeigebracht: den alten Sessel, die kleine Palme und den Schreibtischstuhl. Als sie sich am Abend von ihr verabschiedet hatte, war ihre Muter den Tränen nahe gewesen. Ein wenig tat sie so, als würde ihre Tochter nach Schanghai ziehen, anstatt nur in einen anderen Stadtteil von London.
»Mum, ich bin doch nicht auf dem Mond«, hatte Emily gesagt, »sondern nur eine halbe Stunde von euch entfernt.« Ihre Mutter hatte genickt und gelächelt, aber am liebsten, das wusste Emily, hätte sie sich vor der Tür des Wohnheims zusammengerollt, um auf ihr Baby aufzupassen.
Das hatte sie ihr Leben lang getan. Auf Emily aufgepasst. »Pat, lass ihr die Luft zum Atmen«, hatte ihr Dad oft zu ihrer Mum gesagt. Aber geholfen hatte es nicht wirklich.
Der einzige Trost für ihre Mutter war Julia, eine gute Freundin von Emily, die mit ihr zusammen zur Schule gegangen war und auch am King’s College studierte. Sie wohnte im selben Wohnheim – und sie hatte letztendlich den Ausschlag gegeben, dass ihre Mutter Emily überhaupt hatte gehen lassen.
Emily drehte sich auf die andere Seite. Das Laken ihres Betts fühlte sich ungewohnt rau an, und ihr kam der Gedanke, dass sie sich jetzt, in der Stille des alten Wohnheims nahe der Westminster Bridge, wo sich, auf der anderen Seite der Themse, die neugotische Fassade des Britischen Parlaments im Mondlicht erhob, doch ein wenig so fühlte wie auf einem anderen Planeten.
Sie vermisste Drake, ihren vier Jahre alten Yorkshire Terrier, der normalerweise zusammengerollt auf dem Sessel in ihrem Zimmer schlief und für den sie künftig sehr viel weniger Zeit haben würde.
Julia war tatsächlich die einzige Konstante aus ihrem alten Leben. Ihre Freundin würde genauso wie sie Englisch studieren. Julia war ein großer Fan von dem Fußballklub Manchester United und benahm sich, wenn es um ihre Lieblingsmannschaft ging, fast wie ein Kerl. Mit einem Kerl verwechseln konnte man die zierliche Julia mit den halblangen braunen Haaren und den großen, ebenso braunen Augen allerdings nicht.
Sie hatte, wie es ihrer Art war, binnen Stunden mit Gott und der Welt in diesem Wohnheim Freundschaft geschlossen und Emily, die da weitaus schüchterner war, tausend Leuten vorgestellt. Einer von ihnen war Ryan, er studierte Psychologie und Englisch im Nebenfach und kam aus Dublin, was bei einigen Mitbewohnern amüsierte Verwunderung ausgelöst hatte.
»Ein Ire wagt sich ins Herz der Finsternis?«, hatte Julia gesagt, an den Kordeln ihres Kapuzenpullis gezogen, den natürlich ein Manchester-United-Logo schmückte, und Ryan zugezwinkert. Dass Engländer und Iren nicht immer die besten Freunde gewesen waren, war kein Geheimnis, und das King’s College, gegründet von King George IV höchstpersönlich, könnte für einen patriotischen Iren durchaus als Kaderschmiede des Britischen Empires und damit als Herz der Finsternis gelten.
»Ich bin hier wegen der James-Joyce-Seminare«, hatte Ryan geantwortet. »Und Joyce war genau wie ich Dubliner.« Dann hatte er Emily angeblickt, und sie hatte in seine dunklen Augen geschaut, die von kurzen schwarzen Haaren umrahmt waren, und irgendwie hatte sie ihn gleich gemocht.
»Und weswegen bist du hier?«, hatte er sie gefragt.
»Ich?«, hatte Emily
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