Spiel mir das Lied vom Wind
unterlassen?«
Wir? Wes-se-ling konnte der Mann heißen, Bernd Wesseling, ja, genau, Oberstaatsanwalt war er.
»Du musst noch ein paar Tage in der Horizontalen bleiben, habe ich gehört«, sagte er, anstatt sie nach ihrem Befinden zu befragen. Es schwang ein Hauch Genugtuung in seiner Stimme mit. »Schade! Denn dein neuer Dienstwagen steht nun bereit.«
»Als Belohnung für meine Verdienste?«, krächzte sie.
»Welche Verdienste? Wenn ich dir den Bus nicht überlassen hätte, hätten sich die Mörder nie und nimmer zu erkennen gegeben. Nein. Du bekommst den Dienstwagen, weil der schöne Bus jetzt ein einziger Schrotthaufen ist. Die Bauern haben ihre Wut nicht nur an dir ausgelassen.«
»Hm«, machte Sonja.
»Willst du nicht wissen, was für ein Auto du bekommst?«
»Nein. Nenn mir lieber die Namen der Täter! Wer war es?«
»Oh, wir haben eine ganze Reihe Leute festgenommen. Ich habe hier eine Liste. Ich lese mal vor. Alphabetisch.«
Natürlich, dachte Sonja. Alphabetisch, wie auch sonst.
»Peter Bausch, Ulrich Dederich, Alois Hempel, Elmar Könen, Klaus Scholl und so weiter und so weiter. Alle bestreiten, etwas mit dem Tod von Krux zu tun zu haben.«
War es doch Selbstmord? Sonja konnte sich dunkel daran erinnern, daran bereits gedacht zu haben. Und es ausgeschlossen zu haben, aber sie wusste nicht mehr, warum.
»Als sie Krux fanden«, fuhr Wesseling fort, »war er angeblich schon tot. Zwei von ihnen haben zugegeben, ihn aus seinem Bus gezogen und an eines der Windräder im Windpark Himberg gebunden zu haben. Und zwar … Moment, wie heißen sie noch mal … ja, genau, Ulrich Dederich und Elmar Könen. Und zwar ganz bewusst und extra und mit Absicht.«
»He?«
»Na ja, wegen der Symbolik natürlich. Weil er sie doch mit den Kleinwindrädern betrogen hat. Darüber hatten wir doch schon einmal spekuliert. Hast du alles vergessen?«, fragte Wesseling besorgt.
»Was denn?!«
»Wird schon wieder, mach dir keine Sorgen. Ihr Geld haben sie sich angeblich nicht wiedergeholt«, fuhr er fort. »Aber ich konnte sie sowieso allemale einsacken, weil sie eine Polizistin zusammengeschlagen haben und stundenlang einfach im Straßengraben liegen ließen. Du hättest daran ster…«
»Wer hat mich da rausgeholt?«, unterbrach Sonja ihn schnell, weil sie das entscheidende Wort nicht hören mochte.
»Ein Taxifahrer. Er kam nicht an dem Bus vorbei, der mitten auf der Straße lag. Er hat den Abschleppdienst gerufen und die Polizei und dann erst den Krankenwagen, als er dich im Straßengraben entdeckte. Du hast mitten in der prallen Sonne gelegen. Wie ein totes Reh. Kein Mensch weiß, wie lange.«
Sonja war gerührt, dass er sie mit einem Reh verglich. Sie musste schlucken, eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel. Ihr war wehleidig zumute. Sie war in einem Zustand, in dem sie für jedes Kompliment dankbar war.
»Der Mann hat dir das Leben gerettet«, betonte Wesseling.
»Du hast seine Telefonnummer, nehme ich an.«
Wesseling gab die Telefonnummer der Taxi-Zentrale und den Namen des Fahrers preis: Sultan Özdemir.
»Danke«, sagte Sonja und malte den Namen auf den Block.
»Ruh dich aus. Ich komme dich bald besuchen.«
Sonja beendete das Gespräch, das Wesseling unnötig in die Länge gezogen hatte. Die Schwester musste jeden Augenblick zurückkommen und ihr das Handy wieder abnehmen.
Weiter! Beeilung! Sie wählte ein zweites Mal die Telefonnummer von Melinda Krux. Seltsamerweise schrie Bruno nicht im Hintergrund, während Sonja endlich ihre Frage stellen konnte und die Antwort sorgfältig mitschrieb: Gisela Melzer. Es waren genau diese Silben, die ihr beim Wachwerden durch den Kopf geschwirrt waren, wenn auch in anderer Reihenfolge.
Danach gelang es ihr noch, sich bei dieser Frau für den kommenden Tag anzukündigen und ein ganz bestimmtes Taxi zu bestellen, bevor sich die Tür zu ihrem Krankenzimmer öffnete und die Schwester die Hand nach Sonjas Handy ausstreckte.
Nach dem Abendessen, das aus zwei Scheiben Vollkornbrot mit Wurst und Käse und einer Tasse Hagebutten-Tee bestand, verließ die Hauptkommissarin das Schleidener Krankenhaus St. Antonius auf eigenen Wunsch und gegen den ausdrücklichen Rat der Ärzte.
Sultan Özdemir, ihr Lebensretter, fuhr sie zum Forsthaus. Er war ein gut aussehender, junger Mann mit schwarzen Plüschteddyaugen und Sturmfrisur. Sein Fahrstil war einfühlsam, sanft und wiegend. Von Dank wollte er nichts hören.
»Das war Erste Hilfe!«, betonte er.
Gut, dachte Sonja dankbar,
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