Spiel mir das Lied vom Wind
Kern der Geschichte vorzustoßen
Sonja entstieg mühsam dem Taxi. Knochen und Gelenke taten bei jeder Bewegung weh. Aber bis auf eine gerupfte Augenbraue, einen dunkelblauen Fleck auf der rechten Wange, der an den Rändern langsam grün wurde, und einer verbundenen Hand waren ihr keine Spuren von der Schlägerei mehr anzusehen, als sie sich vorstellte: »Meine Name ist Sonja Senger. Ich bin Kriminalkommissarin.«
Gisela Melzer war eine unscheinbare Frau zwischen fünfzig und sechzig, die eher bieder als attraktiv wirkte. Sie war unauffällig gekleidet, trug Rock und Bluse, beides hellblau, keine Schminke, außer ein wenig rosafarbenen Lippenstift. Die Haare waren kurz und auf altmodische Weise toupiert. Sie duftete nach Seife.
Verglich Sonja sich mit ihr und Melinda, musste sie zugeben, dass Krux auf keinen bestimmten Frauentyp festgelegt war. Andere Faktoren mussten in der Auswahl seiner Affären eine Rolle gespielt haben.
Gisela Melzer schien betucht, aus reichem Hause, wenn von der Lage, Größe und Ausstattung ihres Domizils Rückschlüsse gezogen werden konnten. Sie war sehr zuvorkommend und auf seltsame Weise arglos.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte sie. Sie bat Sonja mit zarter, akzentloser Stimme und eleganter Geste hinein. Sie tippelte vor ihr her durch das Wohnzimmer und eine Glastür und führte sie auf die Terrasse. Der Tisch war für den Nachmittagskaffee gedeckt. Eine Markise hielt die Sonnenstrahlen fern. Der gepflegte Garten, die Blumen in den Kübeln, die Tischdecke, das Geschirr – wie in einem Urlaubsprospekt.
»Setzen Sie sich doch bitte!« Gisela Melzer zog einen Stuhl zurück. »Kaffee oder Tee?«
»Kaffee wäre schön.«
Sie entschwand. Sonja ließ sich unbedacht fallen und biss die Zähne zusammen, weil ihre Gelenke krachten.
Und Kuchen. Kuchen war gut für die Seele. Gisela Melzer hatte unverkennbar selbst gebacken. Käsekuchen gab es, mit einer dicken, dunkelroten Schicht Kirschen auf dem Teigboden. An unauffälliger Stelle naschte Sonja gerade vom Kuchen, als Melzer schon mit einer Glaskanne voller Kaffee herauskam. Sie platzierte sie auf ein silbernes Stövchen, nachdem sie ihrem Gast und sich selbst eingeschenkt hatte. Danach balancierte sie ein Kuchenstück auf die Teller, strich ihren Rock glatt und setzte sich Sonja gegenüber. Hinter Sonja spiegelte eine Fensterscheibe, in der die Melzer sich sehen konnte. Sie korrigierte den Kragen ihrer Bluse und schob eine unordentliche Strähne hinters Ohr, ehe sie ihren Kopf schief legte, auf Sonjas rechte Wange zeigte und fragte: »Haben Sie sich verletzt?«
Sonja schob sich ein Stück Kuchen in den Mund. Er war kühl und saftig. Das Kauen fiel ihr schwer, aber ihr Geschmackssinn existierte noch. Ein Rätsel, wie jemand so etwas selbst herstellen konnte, ohne Bäcker zu sein. Nach mühsamem Schlucken sagte sie, dass sie gegen eine Tür gelaufen sei und sich dabei auch noch eine Hand eingeklemmt habe. Sie streckte ihr die verbundene rechte Hand hin, die die Melzer kurz und teilnahmslos begutachtete, ehe sie das Thema wechselte.
»Sie kommen aus der Eifel?«
»Ich wohne sogar mitten im Nationalpark.«
»Wie schön«, meinte Gisela Melzer.
»Der Ort heißt Wolfgarten.«
»Das klingt ein bisschen verwunschen.«
Sonja wägte ab, sagte dann: »Ja.«
Man aß und trank und schwieg.
Frau Melzer schien nicht die Absicht zu haben, zu fragen, warum sie Besuch von einer Kriminalkommissarin hatte. Ein süßer Blumenduft mischte sich unter ihren Seifenduft. Eine Wespe umkreiste Sonjas Kuchenstück und suchte einen Landeplatz. Sonja verjagte sie mit einer kurzen Handbewegung. Sie kam zurück. Frau Melzer hatte auf einmal eine Fliegenklatsche in der Hand und bereitete der Wespe ein jähes Ende. Sie pflückte sie von der Tischdecke und warf sie in den kleinen, weißen Tischpapierkorb. Der Wespentod hinterließ nicht einmal einen Fleck. Sonja blickte erstaunt in das harmlose Lächeln der Melzer.
»Manchmal«, sagte sie und leckte sich über die Lippen, »manchmal muss man kurzen Prozess machen.«
»Wespen gehören einfach nicht auf den Tisch«, steuerte Sonja bei.
Als auf ihrem Teller nur noch Krümel waren, lehnte sie sich vorsichtig zurück. »Frau Melzer, ich bin nicht hier, um mit Ihnen über Wespen zu sprechen.
»Das habe ich mir gedacht.« Frau Melzer lächelte verschmitzt.
»Ich bin hier, um mit Ihnen über Herrmann Krux zu sprechen.«
»Herrmann Krux?«
»Sie waren seine Geliebte«, erinnerte Sonja sie.
Die Melzer runzelte die
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