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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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längliche, weiße Dach blickte, das im Morgenlicht glänzte, zuckte sie zusammen. War Harry zurück? Machte er unten in der Wohnküche Frühstück für sie beide? Keine Geräusche, kein Radio, kein Pfeifen oder Tellerklappern, und keine Gerüche von Kaffee oder Eiern mit Speck stiegen nach oben. Sie rieb sich das Gesicht und wischte die Illusion davon.
    Der Bus stand da, weil Wesseling die perfide Idee gehabt hatte, ihn ihr statt eines Dienstwagens zu überlassen. Harry war darin gestorben. Harry war Krux. Krux war Dr. Kistermann. So und nicht anders standen die Dinge.
    Wenn Wesseling weiter darauf bestand, würde sie das Beste daraus machen. In einer stillen Stunde konnte sie die Aufkleber mithilfe eines Lösemittels abreißen und die Gardinen und die Matratze auf den Müll werfen. Das restliche Gerümpel war schon von den Kollegen von der Kriminaltechnik entfernt worden, der bestbezahlten Putzkolonne der Welt. Sonja würde den Bus beim Straßenverkehrsamt anmelden und ein schönes Euskirchener Kennzeichen beantragen. An sich war ein Bus doch keine schlechte Sache, redete sie sich ein.
    Hauptsache, er roch nicht nach Harry, nicht tot und nicht lebendig. Ein Fall für die Chemie? Der kleine Wäschebeutel in ihrem Schrank, mit Lavendelblüten gefüllt, fiel ihr ein und würde sicher auch auf einem Armaturenbrett seine Wirkung nicht verfehlen. Sie erledigte die Duftveränderung noch vor dem Frühstück, das sich aus zwei Nescafés und zwei Rosinenbollen mit Butter aus Venlo zusammensetzte.
    Im Radio wurden die Ergebnisse der Kommunalwahlen erörtert: Die CDU blieb stärkste Partei. Der parteilose Hergarten blieb Bürgermeister. In Wolfgarten hatte die FDP gewonnen.
    Diese Ergebnisse entsprachen nicht Sonjas Wählerwillen. Tröstlich war ihr allein die Tatsache, dass Krux' saubere Freunde nicht einmal erwähnt wurden. Das sah in ihrer Heimatstadt Köln ganz anders aus.
    West saß währenddessen neben ihr auf einem Stuhl und beobachtete, wie ihre Hand vom Tisch zum Mund wanderte, ohne an seiner Schnauze Station zu machen. Als der Teller sich zunehmend leerte, stupste er Sonja an und bekam den letzten Bissen.
    Kurz darauf erfuhr Sonja auf telefonische Nachfrage von HK Roggenmeier, dass Wesselings ominöser Plan, der gestern wegen eines großen anderen Gedankens nicht zu ihr vorgedrungen war, darin bestand, dass Neugebauer und Brummer mit zwei anderen Kollegen Krux’ Kunden suchen, finden und befragen sollten. Warum sie selbst dabei nicht zum Einsatz kam, wusste Roggenmeier nicht. Er hatte auch nichts darüber erfahren, ob für sie vielleicht eine andere, höhere Aufgabe vorgesehen sei. Vielleicht gönne Wesseling ihr eine Pause, schlug er vor.
    »Wissen Sie, wie sie vorgehen? Alphabetisch oder geografisch?«, hakte Sonja nach.
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Roggenmeier zurück.
    »Geht es nach Kunde oder nach Lage der Orte?«
    »Beides möglich.«
    »Haben Sie eine Route ausgearbeitet, die sie von Ort zu Ort führt?«
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete er.
    Sie gab ihm ein Stichwort. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beginnen sie in Wintzen.«
    »Hm«, meinte Roggenmeier gedehnt. Er schien nichts zu wissen, nicht einmal, welche Bewandtnis es mit Wintzen hatte.
    »Wann sind sie losgefahren?«
    »Ganz früh«, sagte Roggenmeier. »Was haben Sie vor?«
    »Nichts.«
    »Waidmannsheil«, wünschte er.
    Sonja schnappte sich Krux’ Liste, eine Straßenkarte und eine Flasche Wasser. In T-Shirt und Jeans schwang sie sich in den Bus, der bereits von zartem Lavendelduft erfüllt wurde, drehte den Zündschlüssel und knallte die Tür zu. Sie gab im Leerlauf ein paar Mal Gas.
    Während der Motor auf Touren kam, dachte sie nach. Es war nicht anzunehmen, dass die geprellten Bauern bereitwillig zugeben würden, in eine Falle gelaufen zu sein. Welche Schmach! Sie würden vielmehr abwägen: Dem berechtigten Verlangen nach finanzieller Entschädigung durch eine klare Aussage nachzugeben oder sich in ein tiefes Schweigen zu hüllen, in dem sie Ehre, Ruf und Stolz bewahren konnten. Auch Krux wusste davon. Er war dreist, aber nicht dumm. Auch deswegen hatte er seine Kunden anonymisiert.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie Neugebauer und Brummer auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Sie hatten nichts in der Hand, nur diese kryptische Liste. Sie würden verschiedene Methoden ausprobieren. Sie konnten Druck ausüben oder sich einschmeicheln, sie konnten Versprechungen machen und Hoffnungen, aber sie würden damit nichts

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