Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

hätte, wäre dann das Wetter draußen vor deinem Fenster exakt gleich? Selbstredend nicht. Also haben wir offenkundig einiges verändert. Daher stellt sich die Frage, um wie viel anders die Erde ohne die Menschen ausgesehen hätte.
    WOLKENBLINDHEIT
    Die Unfähigkeit mancher Menschen, in Wolken Gesichter oder Formen zu erkennen. Wie die Prosopagnosie, die »Gesichtsblindheit«, kann die Ursache in einer Beeinträchtigung des Gyrus fusiformis im rechten Schläfenlappen gesehen werden. Fun Fact: Das psychologische Phänomen, in Wolkenformationen Gesichter zu erkennen oder auch andere vage und zufällige Stimuli als bedeutsam zu betrachten, wird Pareidolie genannt.
    WORTSPIEL-SYNDROM
    Medizinische Bezeichnung für etwas, das vormals lediglich als nervtötende, sprachliche Marotte einer begrenzten Zahl von Menschen betrachtet wurde. Wortspielemachen ist eine nahezu unvermeidbare Begleiterscheinung von Konnektopathien im Sprachzentrum des Gehirns, ähnlich wie beim Tourette-Syndrom. Dies führt zu einer grundlegenderen Diskussion über den Begriff des Spektrumsverhaltens: Krankheiten, die ein breites Erscheinungsbild von geringfügigen Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu schweren Geistesstörungen aufweisen. Zu den psychischen Erkrankungen, denen man breite Spektren zuweist, zählen Autismus, Paranoia, Zwangsneurose, Angstneurosen und Erkrankungen, die von erblichen Missbildungen, Hirnverletzungen oder dem Alter herrühren. Es gibt jedoch noch viel mehr, und jede dieser Kategorien kann in noch genauere Spektren unterteilt werden.
    ZEHNTERNEUNTERZILLIN
    Ein Medikament, das einem das Gefühl gibt, 9/11 habe nie stattgefunden. Eine Variante der Jahrtausendstristesse, der nostalgischen Sehnsucht nach dem zwanzigsten Jahrhundert.
    ZEITLANZE
    Angenommen, man könnte ein Teilchen für das Millionstel einer Sekunde in die Zukunft schicken: Da man dessen Richtung und Geschwindigkeit kennt, könnte man dann die allgemeine Expansionsrichtung und -geschwindigkeit des Universums bestimmen.
    ZEITSNACK
    Oftmals enervierende Momente von Pseudo-Freizeit, die eintreten, wenn vom Computer keine Rückmeldung kommt, weil er eine Datei sichert, nach Software-Updates sucht oder, höchstwahrscheinlich, seine ganz eigenen Gründe dafür hat.
    ZEIT/WILLENS-EINMALIGKEIT
    Der Glaube, dass der Zeitsinn und der Besitz eines freien Willens die einzigen beiden Merkmale sind, die den Menschen von allen anderen Geschöpfen unterscheiden.
    ZENTENNIUMSBLINDHEIT
    Die Unfähigkeit der meisten Menschen, zeitliche Dimensionen zu erfassen, die mehr als hundert Jahre in die Zukunft reichen. Viele Menschen leiden an einer verwandten Störung, der Dezenniumsblindheit, die Unfähigkeit, weiter als zehn Jahre vorauszuschauen, und einige an ihrer Highspeed-Variante, der Crastinalblindheit, der Unfähigkeit, über den nächsten Tag hinauszusehen.
    ZERGLIEDERUNGSHÖREN
    Musikwissenschaftliche Theorie, derzufolge ein Stück nur eine einzige Chance hat, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Danach fängt das Gehirn an, den Song zu zergliedern und das Hörerlebnis in seine diversen Komponenten zu unterteilen – Text, Melodie und so weiter.
    ZEUGENBESEITIGUNGSPROGRAMM
    Entgegen dem Mythos, dass ein Zeugenschutzprogramm tatsächlich existiert, werden Menschen, die sich in dieses Programm »begeben«, einfach erschossen.
    ZOOSOMNIALES EINERLEI
    Die Annahme, dass es für Tiere keinen großen Unterschied zwischen Träumen und Wachsein gibt.
    ZUFALLSSEQUENZKICK
    Die kleine, angenehme Reaktion in der Hirnchemie, die auftritt, wenn man das nächste Stück in einer willkürlich zusammengestellten, begrenzten Songliste hört. Nicht zu verwechseln mit dem Radiosequenzkick, bei dem die Songs aus einem einigermaßen fest umrissenen, gleichwohl unbegrenzten Songpool stammen.
    ZUKUNFT DER ARBEIT
    Die Tatsache, dass es im Chinesischen kein Wort für »Ich-Tag« gibt.

Informationen zum Autor
    © Martin Tessler
    Douglas Coupland geboren 1961 auf einem NATO-Stützpunkt in Deutschland, wuchs in Vancouver auf, wo er auch heute als Autor und Künstler lebt. In den späten Achtzigern begann er für lokale Magazine zu schreiben, daraus resultierte 1991 sein Erstlingswerk »Generation X«, das ihn schlagartig berühmt machte und zum Sprachrohr einer Generation werden ließ.