Spillover
zu Hause ist. Er hat eine einfache Ökologie. Er kommt nur in Menschen vor und war deshalb viel einfacher auszurotten. Auch für den Feldzug zur Ausrottung der Poliomyelitis oder Kinderlähmung, den die WHO und andere Institutionen seit 1988 führen, bestehen realistische Erfolgsaussichten, und das aus demselben Grund: Die Kinderlähmung ist keine Zoonose. Heute hat man sich erneut die Malaria vorgenommen. Die Bill and Melinda Gates Foundation kündigte 2007 eine neue, langfristige Initiative zur Ausrottung dieser Krankheit an. Das ist ein bewundernswertes Ziel und ein wunderbarer Traum, aber mindestens einer fragt sich, wie Mr. und Mrs. Gates sowie ihre wissenschaftlichen Berater wohl mit Plasmodium knowlesi umgehen wollen. Rottet man den Parasiten aus, indem man seine Reservoirwirte tötet, oder verabreicht man diesen Wirten irgendwelche Arzneimittel, so dass noch der letzte Makake in den Wäldern Borneos geheilt wird?
Das ist der heilsame Aspekt der zoonotischen Krankheiten: Sie erinnern uns wie der heilige Franziskus daran, dass wir Menschen ein untrennbarer Teil der Natur sind. Es gibt nur diese eine Welt, und die Menschen sind ebenso ein Teil davon wie Ebola-, Influenza- und HI -Viren, wie Nipah, Hendra und SARS , wie Schimpansen und Fledertiere, wie Larvenroller und Streifengänse und wie das nächste mörderische Virus – das wir bisher noch nicht entdeckt haben.
Meine Aussagen darüber, dass sich Zoonosen nicht ausrotten lassen, sollten für niemanden Anlass zu Hoffnungslosigkeit und Depression sein. Ich will keine Ängste schüren, sondern Informationen liefern und Zusammenhänge verständlich machen. Das ist der größte Unterschied zwischen Menschen und Schwammspinnern beispielsweise. Anders als sie können wir aus den gewonnenen Erkenntnissen Rückschlüsse für unser künftiges Handeln ziehen.
Auf diesen Punkt kommt auch Greg Dwyer während unseres Gesprächs in Chicago zu sprechen. Er hat all die berühmten mathematischen Modelle analysiert, mit denen man Krankheitsepidemien unter Menschen erklären wollte – die Modelle von Anderson und May, Kermack und McKendrick, George MacDonald, John Brownlee und anderen. Ihm ist aufgefallen, wie entscheidend sich das individuelle Verhalten auf die Übertragung auswirkt. Er hat erkannt, dass das Handeln des einzelnen Menschen und des einzelnen Schmetterlings einen großen Effekt auf R 0 hat. Die Übertragung von HIV zum Beispiel, so erklärt Dwyer, »hängt vom Verhalten der Menschen ab«. Wer wollte ihm widersprechen? Es ist bewiesen. Man braucht sich nur die Veränderung der Übertragungsrate unter amerikanischen Homosexuellen, in der allgemeinen Bevölkerung Ugandas oder unter Sexarbeiterinnen in Thailand anzusehen. Die Übertragung von SARS geht nach Dwyers Überzeugung viel stärker von Superverbreitern aus – und deren Verhalten kann sehr unterschiedlich sein, vom Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld ganz zu schweigen. Mathematisch arbeitende Ökologen gebrauchen für solche unterschiedlichen Verhaltensweisen den Begriff »Heterogenität«, und Dwyer konnte mit seinen mathematischen Modellen zeigen, dass die Verhaltensheterogenität selbst bei Waldinsekten und erst recht bei Menschen entscheidend dazu beitragen kann, die Ausbreitung einer Infektionskrankheit einzudämmen.
»Wenn man die mittlere Übertragungsrate konstant hält«, erklärt er mir, »sinkt die Gesamt-Infektionsrate allein dadurch, dass man Heterogenität hinzunimmt.« Das hört sich trocken an. Es bedeutet, dass jeder Einzelne durch eigenes Zutun viel dazu beitragen kann, Katastrophen abzuwenden, die ansonsten die ganze Gemeinschaft betreffen. Ein einzelner Schwammspinner erbt vielleicht eine geringfügig bessere Fähigkeit, bei einer Mahlzeit auf einem Blatt der NPV -Schmiere aus dem Weg zu gehen. Ein einzelner Mensch kann sich entschließen, keinen Palmensaft zu trinken, keine Schimpansen zu essen, keine Schweine unter Mangobäumen zu halten, die Luftröhre des Pferdes nicht mit bloßen Händen zu reinigen, keinen ungeschützten Sex mit Prostituierten zu haben, Einwegspritzen zu benutzen, beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, bei Krankheitsgefühl nicht in ein Flugzeug zu steigen oder Hühner nicht zusammen mit Enten einzusperren. »Jede Kleinigkeit, die Menschen tun«, sagt Dwyer, »kann die Infektionsrate senken« – vorausgesetzt, der Einzelne unterscheidet sich damit vom üblichen Verhalten seiner Gruppe. Diese Antwort gab er mir, nachdem ich ihn gebeten hatte, über
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