Spillover
zulegen und gerade so lange gesund bleiben, dass sie verkauft und geschlachtet werden können. Damit fördern wir die Evolution resistenter Bakterien. Wir exportieren und importieren lebende Tiere mit hoher Geschwindigkeit über große Entfernungen. Wir exportieren und importieren andere lebende Tiere, insbesondere Primaten, für die medizinische Forschung. Wir exportieren und importieren Wildtiere als exotische Hausgenossen. Wir exportieren und importieren Tierfelle, schmuggeln Buschfleisch und Pflanzen, von denen manche heimlich Mikroorganismen mitbringen. Auf unseren Reisen bewegen wir uns noch schneller zwischen Städten und Kontinenten hin und her als unsere Viehtransporte. Wir wohnen in Hotels, in denen Fremde niesen und erbrechen. Wir essen in Restaurants, in denen der Koch vielleicht ein Stachelschwein zerlegt hat, bevor er sich an die Zubereitung unserer Jakobsmuscheln macht. Wir besuchen Affentempel in Asien, Lebendtiermärkte in Indien, malerische Dörfer in Südamerika, staubige archäologische Stätten in New Mexico, Milchziegendörfer in den Niederlanden, Flughundquartiere in Ostafrika, Pferderennstrecken in Australien – wir atmen die Luft, füttern die Tiere, fassen Dinge an, schütteln den freundlichen Einheimischen die Hand. Und dann setzen wir uns wieder ins Flugzeug und fliegen nach Hause. Wir werden von Moskitos und von Zecken gestochen. Wir verändern das globale Klima mit unseren Kohlenstoffemissionen, und dadurch wiederum leben Stechmücken und Zecken irgendwann in anderen Breitengraden. Und mit der Allgegenwart unserer zahllosen menschlichen Körper bieten wir unternehmungslustigen Mikroorganismen unwiderstehliche Gelegenheiten.
Alles, was ich gerade erwähnt habe, gehört in die gleiche Rubrik: Ökologie und Evolutionsbiologie zoonotischer Krankheiten. Ökologische Verhältnisse bieten Gelegenheiten für den Übersprung. Die Evolution ergreift solche Gelegenheiten, erkundet Möglichkeiten und trägt dazu bei, einen Übersprung zur Pandemie zu machen.
Es war ein hübsches, aber zunächst folgenloses historisches Zusammentreffen, dass die Keimtheorie der Krankheiten Ende des 19. Jahrhunderts an wissenschaftlichem Ansehen gewann, also zur gleichen Zeit wie Darwins Evolutionstheorie. Hübsch ist es, weil die beiden großen Gedankengebäude einander viel zu geben hatten, und zunächst folgenlos, weil ihre gemeinsame Kraft erst mit langer Verzögerung deutlich wurde: Die Keimtheorie blieb noch weitere sechzig Jahre im Wesentlichen unbeeinflusst vom evolutionären Gedankengut. Das ökologische Denken entstand in seiner modernen Form noch später und wurde von der medizinischen Forschung ebenso langsam integriert. Eine weitere Wissenschaft, die bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fehlte, war die Molekularbiologie. Die Mediziner früherer Zeiten vermuteten vielleicht, dass die Beulenpest irgendetwas mit Nagetieren zu tun hatte, aber wie oder warum, zeigte sich erst 1894, als Alexandre Yersin während einer Epidemie in Hongkong in Ratten die Pestbakterien fand. Selbst seine Erkenntnis wies noch nicht den Weg zu den Infektionen des Menschen; das geschah erst einige Jahre später, als Paul-Louis Simond nachweisen konnte, dass das Bakterium von Rattenflöhen übertragen wird. Dass Kühe und Menschen am Milzbrand sterben, wusste man schon seit Langem, aber man glaubte, die Krankheit entstehe spontan, bis Robert Koch 1876 nachwies, dass ein Bakterium die Ursache ist. Noch offenkundiger war die Verbindung zwischen Menschen und Tieren – insbesondere verrückten Hunden – bei der Tollwut. Pasteur entwickelte 1885 einen Tollwutimpfstoff und injizierte ihn einem Jungen, der gebissen worden war und der dadurch überlebte. Aber das Tollwutvirus selbst, das noch viel kleiner ist als ein Bakterium, konnte man erst viel später direkt nachweisen und auf wilde Fleischfresser zurückführen. Anfang des 20. Jahrhunderts setzten sich Krankheitsforscher der Rockefeller Foundation und anderer Institutionen das ehrgeizige Ziel, bestimmte Infektionskrankheiten völlig auszurotten. Große Mühe, viele Millionen Dollar und jahrelange Anstrengungen verwendeten sie auf das Gelbfieber – und scheiterten. Sie versuchten es mit der Malaria – und scheiterten. Später versuchten sie es mit den Pocken – und hatten Erfolg. Warum? Zwischen diesen drei Krankheiten gibt es viele, komplizierte Unterschiede, am wichtigsten ist aber wahrscheinlich, dass der Pockenerreger weder in einem Reservoirwirt noch in einem Vektor
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