Spillover
University gehörenden Mailman School of Public Health ist eine der führenden Adressen, wenn es um die Entwicklung neuer molekularbiologischer Diagnosehilfsmittel geht. Lipkin hat sowohl Medizin als auch Molekularbiologie studiert, bezeichnet sein Fachgebiet als »Erregerentdeckung« und nutzt Methoden wie die Hochdurchsatz-Sequenzierung (mit der man Tausende von DNA -Proben schnell und billig sequenzieren kann), die MassTag PCR (zum massenspektrometrischen Nachweis vervielfältigter Genomabschnitte) und das GreenChip-Diagnosesystem, mit dem man gleichzeitig nach Tausenden von verschiedenen Krankheitserregern suchen kann. Ganz gleich, ob Jon Epstein in Bangladesch das Blutserum von Flughunden gewinnt oder ob Aleksei Chmura in Südchina Fledermäusen Blut abnimmt, immer wandern einige Proben direkt zu Ian Lipkin.
Diese Wissenschaftler sind in Alarmbereitschaft. Sie sind unsere Wachposten. Sie bewachen die Grenzen, die von den Erregern überschritten werden. Und sie sind untereinander zum gegenseitigen Nutzen vernetzt. Wenn das nächste neue Virus den Weg von einem Schimpansen, einem Fledertier, einer Maus, einer Ente oder einem Makaken zu den Menschen findet und vielleicht vom ersten Menschen zu weiteren, und wenn daraufhin eine kleine Häufung tödlicher Krankheitsfälle auftritt, sehen sie es und läuten die Alarmglocken – zumindest hoffen wir das.
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Faktor Mensch
Was dann geschieht, hängt von Wissenschaft, Politik, gesellschaftlichen Gepflogenheiten, öffentlicher Meinung, öffentlichem Druck und anderen menschlichen Verhaltensweisen ab. Es hängt davon ab, wie wir als Bürger reagieren.
Bevor wir also reagieren – ob ruhig oder hysterisch, intelligent oder dämlich –, sollten wir die grundlegenden Umrisse und die Dynamik der Situation in etwa verstehen. Wir sollten wissen, dass die Ausbrüche neuer zoonotischer Krankheiten ebenso wie das Wiederauftauchen altbekannter im Rahmen einer größeren Gesetzmäßigkeit stehen und dass die Menschheit für die Entstehung dieser Gesetzmäßigkeit verantwortlich ist. Wir sollten erkennen, dass Krankheiten uns nicht nur zustoßen, sondern dass sich in ihnen auch unsere eigenen Taten widerspiegeln. Wir sollten verstehen, dass manche der von Menschen verursachten Faktoren zwar vielleicht unabänderlich erscheinen, dass aber andere durchaus noch von uns beeinflusst werden können.
Die Experten haben uns auf diese Faktoren aufmerksam gemacht, und sie aufzuzählen, ist nicht schwer. Wir haben die Weltbevölkerung auf sieben Milliarden Menschen und mehr anwachsen lassen. Wir sind auf dem Weg zu neun Milliarden, erst dann wird sich der Trend wahrscheinlich abflachen. In vielen Großstädten leben wir auf engsten Raum zusammen. Wir dringen immer weiter in die letzten großen Wälder und anderen wilden Ökosysteme unseres Planeten vor und zerstören an solchen Orten sowohl die physischen Strukturen als auch die ökologischen Gemeinschaften. Wir schlagen Schneisen durch den Kongo. Wir schlagen Schneisen durch das Amazonasgebiet. Wir schlagen Schneisen durch Borneo. Wir schlagen Schneisen durch Madagaskar. Wir schlagen Schneisen durch Neuguinea und den Nordosten Australiens. Wir schütteln buchstäblich und im übertragenen Sinn die Bäume, so dass alles Mögliche herunterfällt. Wir töten, zerlegen und essen viele wilde Tiere, die wir dort finden. Wir lassen uns in solchen Regionen nieder, bauen Dörfer und Arbeitersiedlungen, Kleinstädte, Rohstoffindustrien und neue Metropolen. Wir bringen unsere Haustiere mit und ersetzen die wilden Pflanzenfresser durch Vieh. Das Vieh vermehrt sich wie wir selbst: Wir betreiben Fabriken mit Tausenden von Rindern, Schweinen, Hühnern, Enten, Schafen und Ziegen, ganz zu schweigen von den Lieferanten für »Wildaromen«. Sie alle werden mit Zäunen und Gehegen massenhaft zusammengedrängt und leben unter Bedingungen, unter denen sich solche domestizierten und halbdomestizierten Tiere infektiöse Krankheitserreger aus äußeren Quellen zuziehen (beispielsweise Flughunde, die in Bäumen über Schweinekoben schlafen) und die Infektion untereinander weitergeben. Für die Erreger schaffen wir damit eine Fülle von Gelegenheiten, sich zu neuen Formen weiterzuentwickeln, und manche davon können vielleicht nicht nur eine Kuh oder eine Ente infizieren, sondern auch einen Menschen. Wir behandeln solche Tierbestände prophylaktisch mit Antibiotika und anderen Medikamenten, aber nicht um sie zu heilen, sondern damit sie schneller an Gewicht
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