Spillover
meine Analogie nachzudenken, und nachdem er sich eine halbe Stunde darüber den Kopf zerbrochen hatte.
»Schwammspinner können sich nur in einer begrenzten Zahl von Eigenschaften unterscheiden«, sagt er zum Schluss. »Menschen jedoch können sich in unglaublich vielen Punkten unterscheiden. Insbesondere in ihrem Verhalten. Ich glaube, dass Vernunft und Einsicht wirklich eine sehr große Rolle spielen. Jetzt, wo ich mir Zeit genommen habe, sorgfältig darüber nachzudenken, bin ich überzeugt, dass es äußerst wichtig ist.«
Dann führt er mich in den Keller des Gebäudes und lässt mich einen Blick auf die experimentelle Seite seiner Tätigkeit werfen. Er schließt eine Tür auf, und wir gehen in den »Schmutzraum«, wie er ihn nennt. Er öffnet einen Brutschrank, nimmt einen Kunststoffbehälter heraus und zeigt mir Schwammspinnerraupen, die mit NPV infiziert sind. Jetzt sehe ich, wie das Platsch auf einem Blatt aussieht.
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Memento
Von den beiden riesigen Ulmen, die vor dem Haus meiner Nachbarin Susan standen, ist nur noch eine übrig. Die andere ist vor vier Jahren abgestorben – sie war alt, hatte unter der Trockenheit gelitten und wurde von Blattläusen heimgesucht. Ein professioneller Baumfäller kam mit seinen Leuten und seinem Lastwagen, um sie abzutragen – Ast für Ast, Stammabschnitt für Stammabschnitt. Für Susan war es ein trauriger Tag – und auch für mich, hatte ich doch fast dreißig Jahre im Schatten dieses majestätischen Laubbaumes gewohnt. Dann war selbst der Stumpf verschwunden, der mir gut und gerne als Esstisch hätte dienen können. Man hatte ihn mit einer Stubbenfräse abgeschliffen, und jetzt war er von Gras überwachsen. Der Baum ist weg, aber vergessen ist er nicht. Die Nachbarschaft bedauert den Verlust, aber eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Die zweite große Ulme steht noch und wölbt sich prachtvoll über unsere kleine Straße. In Hüfthöhe zieht sich ein farbiger Ring um ihre graubraune Rinde – ein dunkler, verfärbter Streifen, den offenbar auch Wetter und Zeit nicht auslöschen können. Er zeigt, wo der Baum vor zwanzig Jahren mit einer giftigen Schmiere vor den Ringelspinnern geschützt werden sollte. Die Raupen sind schon längst nicht mehr da; sie waren nur eine von vielen Populationen, die nach einer Massenvermehrung zusammengebrochen sind; dieser Ring ist quasi ihr fossiler Überrest.
Wenn ich zu Hause in Montana bin, gehe ich jeden Tag an diesem Baum vorüber. Meistens fällt mir der dunkle Streifen auf. Meistens erinnere ich mich an die Raupen, die in so großer Zahl kamen und dann wieder verschwanden. Für sie herrschten gute Bedingungen. Aber dann geschah etwas. Vielleicht war Glück ein entscheidendes Element. Vielleicht auch die Umstände. Vielleicht ihre schiere Dichte. Vielleicht die Genetik. Vielleicht das Verhalten. Wenn ich heute den Streifen an dem Baum sehe, fällt mir oft wieder ein, was Greg Dwyer mir gesagt hat: Es kommt immer darauf an.
167 Berryman (1987), S. 3
168 Wilson (März 2002), S. 74
169 Myers (1993), S. 240
170 Burke (1998), S. 7
ANHANG
Dank
Die ersten Anfänge dieses Buches liegen an einem Lagerfeuer im Wald Zentralafrikas. Dort unterhielten sich zwei Männer aus Gabun im Juli 2000 mit mir über die Ebola-Epidemie, die ihr Dorf Mayibout 2 heimgesucht hatte, und über die 13 toten Gorillas, die sie ungefähr zu der Zeit, als ihre Angehörigen und Freunde starben, im Wald rund um das Dorf gesehen hatten. Deshalb geht mein erster Dank an diese beiden Männer: Thony M’Both und Sophiano Etouck. Zu Dank verpflichtet bin ich auch den Menschen, die mich an dieses Lagerfeuer brachten: Bill Allen, Oliver Payne, Kathy Moran und ihren Kollegen vom Magazin National Geographic , Nick Nichols, meinem Fotografenpartner bei diesem Auftrag (und vielen anderen seither), den Logistikern Tomo Nishihara und John Brown, Neeld Messler, Nicks Assistenten (der für uns alle ein Gewinn war), den Bantu- und Pygmäen-Männern, die als Träger und vieles andere tätig waren und die Expedition durch den Wald Gabuns überhaupt erst ermöglichten; das waren nicht nur Thony und Sophiano, sondern auch Jean-Paul, Jacques, Celestin, Kar, Alfred, Mayombo, Boba, Yeye, nicht zu vergessen der unermüdliche Bebe, unser Mann an der Spitze mit seiner Machete. Dank schulde ich vor allem aber J. Michael Fay, dem Spinner, der vom Naturschutz in Afrika träumt und dessen Engagement für den Erhalt wilder Ökosysteme samt ihrer Fauna und Flora nur noch – wenn
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