Spin
setzten uns der hohen See und den wogenden Wellen aus, und ich ging nach unten in den Aufenthaltsraum, zu Ina und Diane und den anderen Emigranten. En saß mit Ina und seinen Eltern an einem Klapptisch. Mit Rücksicht auf ihre Verletzung war Diane der einzige gepolsterte Sessel überlassen worden; inzwischen hatte die Wunde aufgehört zu bluten, und es war ihr gelungen, sich trockene Sachen anzuziehen.
Eine Stunde später kam Jala herein, lenkte mit einem lauten Ruf die Aufmerksamkeit auf sich und hielt eine Rede, die Ina mir anschließend folgendermaßen übersetzte: »Wenn man alles selbstgefällige Eigenlob weglässt, dann hat Jala nur gesagt, dass er auf die Brücke gegangen sei und mit dem Kapitän gesprochen habe. Alle Feuer an Deck seien gelöscht und unserer Fahrt stehe nichts mehr im Wege. Der Kapitän bittet um Entschuldigung für die raue See. Nach den Vorhersagen müssten wir bis zum Abend, spätestens morgen Früh aus dem Wetter heraus sein. In den nächsten paar Stunden allerdings…« In diesem Augenblick schnitt En, der neben Ina saß, ihr auf denkbar wirkungsvolle Weise das Wort ab: indem er sich zu ihr umdrehte und sich in ihren Schoß übergab.
Zwei Nächte später gingen Diane und ich aufs Deck hinauf, um uns die Sterne anzusehen. Nachts war es dort ruhiger als zu jeder anderen Zeit. Wir suchten uns einen Platz zwischen den Zehn-Meter-Containern und den Achterdeckaufbauten, wo wir reden konnten, ohne dass jemand mithörte. Die See war ruhig, die Luft angenehm warm, und über den Schornsteinen und dem Radar der Capetown wimmelte es von Sternen, als hätten sie sich in der Takelage verfangen.
»Schreibst du immer noch an deinen Erinnerungen?« Diane hatte die Sammlung von Speicherkarten gesehen, die ich in meinem Gepäck aufbewahrte, zusammen mit den digitalen und pharmazeutischen Schmuggelwaren, die wir aus Montreal mitgebracht hatten. Dazu diverses vollgekritzeltes Papier, Notizhefte, lose Seiten.
»Nicht mehr so oft. Es scheint nicht mehr so dringend – das Bedürfnis, alles aufzuschreiben.«
»Oder die Angst, zu vergessen.«
»Oder das.«
»Und fühlst du dich anders?« Sie lächelte.
Ich war ein neuer Vierter. Diane nicht. Ihre Wunde hatte sich inzwischen geschlossen, ohne mehr als einen Streifen gekräuselter Haut zu hinterlassen, der der Krümmung ihrer Hüfte folgte. Die Selbstheilungskräfte ihres Körpers waren mir immer noch ein bisschen unheimlich. Obwohl ich sie, so stand zu vermuten, jetzt auch besaß.
Ihre Frage war ironisch gemeint. Viele Male hatte ich Diane gefragt, ob sie sich als Vierte anders fühlen würde, und die eigentliche Frage lautete: Kam sie mir anders vor?
Eine befriedigende Antwort darauf hatte es nie gegeben. Natürlich war sie verändert nach ihrer »Wiederauferstehung« im Großen Haus – wer wäre das nicht gewesen? Sie hatte einen Ehemann und einen Glauben verloren und war aus langer Agonie in eine Welt erwacht, bei deren Anblick sich wohl selbst ein Buddha vor Verblüffung am Kopf gekratzt hätte.
»Der Übergang ist nur eine Tür«, sagte sie. »Eine Tür zu einem Zimmer, in dem du noch nie gewesen bist, allenfalls hast du von Zeit zu Zeit einen Blick hineingeworfen. Jetzt ist es das Zimmer, in dem du wohnst, es ist deins, es gehört dir. Es hat bestimmte Eigenschaften, die du nicht verändern kannst. Du kannst es nicht größer oder kleiner machen. Aber wie du es einrichtest, das ist dir überlassen.«
»Eine ziemlich philosophische Antwort.«
»Tut mir Leid, mehr kann ich nicht anbieten.« Sie wandte ihren Blick hinauf zu den Sternen. »Sieh mal, man kann den Bogen sehen.«
Wir bezeichnen ihn als »Bogen«, weil wir eine in gewissem Sinne kurzsichtige Spezies sind. Der große Torbogen ist in Wirklichkeit ein Ring, ein Kreis mit einem Durchmesser von anderthalbtausend Kilometern, doch nur die Hälfte davon erhebt sich über den Meeresspiegel. Der Rest ist unter Wasser oder in der Erdkruste vergraben, vielleicht – so ist verschiedentlich spekuliert worden – um das subozeanische Magma als Energiequelle anzuzapfen. Aber aus unserem Ameisenblickwinkel war es in der Tat ein Bogen, dessen Scheitelpunkt ein gutes Stück über die Atmosphäre hinausreichte, und selbst seine exponierte Hälfte war vollständig sichtbar nur auf Fotos, die aus dem Weltraum aufgenommen wurden, Bilder, die in der Regel bearbeitet waren, um bestimmte Details hervorzuheben. Wenn man einen Querschnitt des Ringmaterials – der Draht, der zum Reifen gebogen wird –
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