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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kohlenflöz. Der Zeitpunkt wird kommen, wo wir es nicht mehr kompensieren können.«
    »Der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt.«
    »Könnte man so sagen.«
    »Wie lange wird er noch den Anschein von Normalität aufrecht erhalten können?«
    Malmstein dachte kurz nach. »Wissen Sie«, sagte er dann, »genau das hat Jason mich auch gefragt.«
    »Und was haben Sie ihm gesagt?«
    »Dass ich kein Hellseher bin. Dass AMS eine Krankheit ohne gesicherte Ätiologie ist. Dass der menschliche Körper seinen eigenen Kalender hat.«
    »Ich vermute, die Antwort hat ihm nicht sonderlich gefallen.«
    »Er hat sein Missfallen deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber es ist wahr. Er könnte noch die nächsten zehn Jahre asymptomatisch herumlaufen. Oder er könnte Ende dieser Woche im Rollstuhl sitzen.«
    »Haben Sie ihm das gesagt?«
    »In einer freundlicheren Version. Er soll nicht die Hoffnung verlieren. Er besitzt Kampfgeist und das zählt viel. Meine ehrliche Meinung ist die, dass er kurzfristig gut zurechtkommen wird – zwei Jahre, fünf Jahre, vielleicht auch mehr. Danach ist alles möglich. Ich wünschte, ich könnte eine bessere Prognose anbieten.«
    Ich erzählte Jason nicht, dass ich mit Malmstein gesprochen hatte, aber ich sah, wie er in den folgenden Wochen seinen Arbeitseinsatz noch verdoppelte, seine Erfolge gegen die Zeit und die Sterblichkeit verbuchte: nicht die der Welt, sondern seine eigene.
     
    Die Anzahl der Raketenstarts, von den Kosten nicht zu reden, steigerte sich rasant. Die letzte Welle der Saatguttransporte (die einzigen, die, jedenfalls teilweise, echte Saat enthielten) fand im März statt, zwei Jahre nachdem Jason, Diane und ich beobachtet hatten, wie ein Dutzend ähnliche Raketen von Florida aus zu dem damals noch unfruchtbaren Planeten aufbrachen.
    Der Spin hatte uns den nötigen Hebel für eine lange Ökopoiesis geliefert. Doch nachdem wir die Samen komplexer Pflanzen auf den Weg gebracht hatten, wuchs dem richtigen Timing eine entscheidende Rolle zu. Wenn wir zu lange warteten, konnte uns die Entwicklung auf dem Mars aus den Händen gleiten: eine essbare Getreidesorte würde, wenn sie sich eine Million Jahre lang wild entwickelte, am Ende unter Umständen kaum noch Ähnlichkeit mit ihrer Herkunftsform aufweisen, ja wäre vielleicht ungenießbar oder gar giftig geworden.
    Das hieß, dass die Beobachtungssatelliten nur wenige Wochen nach der Saatgutarmada gestartet werden mussten, und die bemannten NEP-Schiffe, falls die Ergebnisse verheißungsvoll aussahen, unmittelbar danach.
    Ich erhielt einen weiteren spätabendlichen Anruf von Diane, einen Tag nachdem die Beobachtungssatelliten aufgestiegen waren (ihre Datenpakete waren nach wenigen Stunden geborgen worden, befanden sich aber noch auf dem Weg nach Pasadena, um dort im JPL, dem »Labor für Düsenantrieb«, analysiert zu werden). Sie wirkte bedrückt, und als ich nachbohrte, gestand sie, dass sie vorübergehend entlassen worden war, mindestens bis Juni. Sie und Simon waren dadurch mit ihrer Miete in Rückstand geraten. E. D. konnte sie nicht um Geld bitten, und mit Carol zu reden, war unmöglich. Im Moment versuchte sie Mut zu sammeln, um Jason anzusprechen, aber die damit verbundene Demütigung machte sie auch nicht fröhlicher.
    »Um was für eine Summe geht es denn, Diane?«
    »Tyler, ich wollte nicht…«
    »Ich weiß. Du hast nicht gefragt. Ich mache ein Angebot.«
    »Na ja… in diesem Monat, also, fünfhundert Dollar würden uns schon sehr weiterhelfen.«
    »Das Pfeifenstielvermögen ist also aufgebraucht.«
    »Simons Treuhandfonds ist ausgelaufen. Es ist schon noch Familienvermögen da, aber Simons Familie spricht nicht mit ihm.«
    »Wenn ich dir einen Scheck schicke, würde er mitkriegen, was läuft?«
    »Es würde ihm nicht gefallen. Ich hab mir gedacht, ich erzähl ihm, ich hätte eine alte Versicherungspolice gefunden und zu Geld gemacht. So was in der Richtung. Die Sorte Lüge, die nicht als Sünde zählt. Hoffe ich.«
    »Ihr seid noch immer unter der Collier-Street-Adresse zu erreichen?« An die ich jedes Jahr eine höflich neutrale Weihnachtskarte schickte und von wo ich jedes Mal eine mit typischen Winter-Motiven zurückbekam, unterzeichnet mit Alles Gute und Gottes Segen, Simon und Diane Townsend.
    »Ja«, sagte sie. Und dann: »Danke, Tyler. Vielen, vielen Dank. Weißt du, das ist unglaublich beschämend.«
    »Es sind schwere Zeiten für viele.«
    »Dir geht’s aber gut?«
    »Ja, mir geht’s gut.«
    Ich schickte ihr sechs

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