Spitze Buben
Mißbilligung zu überschütten. Doch statt dessen entdeckte ich eine sehr attraktive Brünette. Sie hatte sich aus der anderen Richtung herangeschlichen.
»Linda!« Meine Freundin aus der Königlichen Bibliothek, an die ich gedacht hatte, während ich statt ihrer Espinozas Buch umarmte. »Das ist die netteste Überraschung, die ich seit langem erlebt habe.« Ich richtete mich ein wenig auf, um auf gleicher Höhe mit ihr zu sein. »Ich bin froh, daß du deine Meinung geändert hast.« Linda war knapp einsfünfzig groß, hatte wunderschöne, braune, unschuldig blickende Augen und war die süßeste Bibliothekarin, die ich mir vorstellen konnte.
»Kusch, Junge. Wir sind hier in der Öffentlichkeit.«
»Dann komm in meinen Salon.«
»Wenn ich das mache, vergesse ich, warum ich hergekommen bin.« Sie setzte sich auf die Treppenstufen, preßte artig die Knöchel zusammen, zog die Knie unters Kinn, umschlang sie mit den Armen und warf mir einen Blick voll mädchenhafter Unschuld zu, der mich, wie sie genau wußte, in einen Liebeszombie verwandeln würde.
Heute war anscheinend Weltspieltag und ich das Weltspielzeug.
Aber damit komme ich klar. Ich bin für diese Rollen geboren.
Linda Luther war absolut nicht unschuldig, ganz gleich, welchen Eindruck man auf den ersten Blick davon haben konnte. Aber sie versuchte aus Leibeskräften, die Eisheilige zu spielen, die nach Meinung einiger Leute eine Bibliothekarin sein sollte. Sie versuchte es, aber es klappte nicht. Echtes Eis war ihr fremd. Ich stand einfach da, pflanzte mein gewinnendstes Grinsen auf und wartete zuversichtlich darauf, daß sie sich selbst in mein Haus und in mein Bett reden würde.
»Hör auf damit!«
»Womit?«
»Mich so anzusehen. Ich weiß genau, was du denkst...«
»Ich kann nichts dagegen machen.«
»Siehst du, ich vergesse, weshalb ich hergekommen bin.«
Ich glaubte ihr keine Sekunde, aber ich bin ein guter Junge. Eine Zeitlang spiele ich einen Schabernack gern mit. »Okay. Dann erzähl's mir.«
»Wie?«
»Was hat dich hergebracht, wenn nicht mein unwiderstehlicher Charme?«
»Ich brauche deine Hilfe. Beruflich.«
Warum ausgerechnet ich?
Ich konnte es nicht glauben. Bibliothekarinnen geraten nicht in Situationen, in denen sie die Hilfe von Jungs wie mir brauchen, um sie aus der Klemme zu befreien. Jedenfalls nicht so süße kleine Zuckerpüppchen wie Linda Luther.
Ich ging langsam auf meine Tür zu. Linda war in Gedanken, stand auf und folgte mir. Dann war sie drinnen, und die Haustür war verschlossen und verriegelt. Ich versuchte, sie an dem kleinen Salon vorbeizuschmuggeln. Der Gottverdammte Papagei murmelte im Schlaf Obszönitäten. Die liebliche Linda beachtete es nicht. Ich erinnerte mich wieder, warum ich so scharf auf dieses Mädchen war. »Was beunruhigt dich so?«
Das war ihre große Chance, irgendwas Gescheites und Zweideutiges von sich zu geben, eine Gelegenheit, die sie normalerweise nicht hätte verstreichen lassen. Aber sie stöhnte nur. »Ich werde gefeuert. Ich weiß es ganz genau.«
»Das ist sehr unwahrscheinlich.« Also wirklich.
»Du verstehst es nicht. Ich habe ein Buch verloren, Garrett. Ein sehr seltenes Buch. Eins, das nicht ersetzt werden kann. Es ist vielleicht sogar gestohlen worden.«
Ich ging in mein Büro, und Linda folgte mir. Wo war meine Anziehungskraft, wenn ich sie am dringendsten brauche?
»Ich muß es zurückbekommen, bevor sie es rauskriegen«, fuhr Linda fort. »Es gibt keine Entschuldigung, daß mir so was passieren konnte.«
»Beruhige dich. Atme erst mal durch. Dann erzähl mir alles, von Anfang an. Ich habe schon einen Job, der mich eine Weile beschäftigen wird. Aber immerhin besteht die Chance, daß ich einen Vorschlag habe.«
Ich faßte sie bei den Schultern und führte sie zu meinem Klientenstuhl. Sie setzte sich.
»Erzähl von Anfang an«, erinnerte ich sie.
Aargh! Alle schönen Pläne waren für die Katz! Statt ihr trauriges Wehgejammer zu spinnen, stotterte und gestikulierte sie herum. Ihre ursprüngliche Sendung hatte sie völlig vergessen.
Oh-Oh.
Der Espinoza. Mitten auf meinem Schreibtisch.
Ich hatte nicht alle Formalitäten beachtet, als ich ihn mir geborgt hatte. Die Herren der Bibliothek vertrauen uns gewöhnlich Sterblichen sowieso keine Bücher an. Wir könnten ja darin auf Ideen stoßen.
Ich erwiderte etwas Fadenscheiniges, das in dem Aufruhr völlig unterging. Genausowenig gelang es mir, sie auf den Grund für ihr Kommen zurückzusteuern. »Wie konntest du mir das
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