Spitze sein, wenn's drauf ankommt

Menschen. Die verunsicherte Athletin redet mit vielen Menschen – ehemalige Nationalmannschaftskollegen, Sportpsychologen. Ganz wichtig sind in dieser Zeit ihre Eltern, die sie alle bestärken und unterstützen. Sie lernt auf einem Laufband, diesen Schutzreflex auszuhebeln und die Arme wieder bei jedem Schritt neben dem Rumpf zur Tempoverschärfung einzusetzen. Das Schwierigste ist jedoch, einen neuen Begleitläufer zu finden, denn es geht hier vor allem um eins: Vertrauen. Ohne das „sprechende Auge“ ist der Sport für sie unmöglich. Sie findet den idealen Partner – den ehemaligen Begleitläufer ihres blinden Bruders, der ihn 2006 in Turin bei den Paralympics begleitet hatte. Normalerweise dauert es ca. zwei Jahre, bis sich Begleitläufer und Athlet blind verstehen. Die zwei haben weniger als ein halbes Jahr. Ihr Blindenhund – sie nennt ihn auch charmant „Wauzi“ – unterstützt sie, ihre Angst zu überwinden. 150 Tage trainieren beide gemeinsam, ihr Begleitläufer Thomas Friedrich wird praktisch von Familie und Arbeitgeber freigestellt.
    Das „Stehaufweiblein“– Stärker als jemals zuvor
    Die außergewöhnliche Athletin kämpft. Sie bleibt beharrlich und kehrt Ende 2009 als Stehaufweiblein in den Weltcup zurück, stärker als jemals zuvor. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, die Leidenschaft zum Sport und ihre Kämpfernatur haben sie nach ihrem Unfall wieder zurück auf die Langlauf- und Biathlonstrecken kehren lassen. Das Wunder ist perfekt. Sie gewinnt bis zu den Paralympics in Vancouver alle Rennen und somit die Weltcups im Langlauf und Biathlon.
    Es ist der 21. Februar 2010. Das 1-km-Sprintrennen der Sehbehinderten bei den Paralympics in Vancouver findet statt. Die blonde Spitzenathletin weint im Zielraum – vor Freude. Und sie umarmt ihren Begleitläufer Thomas Friedrich. Ihr fünfter Start in Vancouver, ihr fünftes Gold und gleichzeitig ihre insgesamt zwölfte paralympische Goldmedaille. Damit ist sie die erfolgreichste Sportlerin der Paralympics in Vancouver, die ein kanadischer TV-Moderator in „Bentelympics“ umtauft.
    Die Frau, die bei den Paralympics fünf Goldmedaillen für Deutschland holte, ist genau die Frau, der ein Jahr zuvor noch prophezeit wurde, dass sie ihre Karriere beenden müsste – Verena Bentele. Heute ist sie die bekannteste und erfolgreichste deutsche Behindertensportlerin der Wintersparte.
    Dass Verenas Erfolge gemessen an ihrer persönlichen Geschichte womöglich noch ein wenig höher einzuordnen sind, liegt nicht nur an dem schrecklichen Unfall im letzten Jahr. Viel mehr liegt es daran, dass Verena zwar seit ihrer Geburt blind ist, sich aber nie über ihre Behinderung zu definieren scheint. Ob in Interviews, auf ihrer eigenen Homepage oder in ihrem Privatleben – es ist fast so, als wäre diese Behinderung gar nicht da. Verenas Credo, sich nie dem Schicksal zu ergeben, sondern immer das Beste daraus zu machen, begleitet sie bereits ihr gesamtes Leben. Die fröhliche Ausnahmeathletin vom Bodensee hat Durchblick, ohne sehen zu können. Sie schließt gerade ihr Literaturstudium ab. Nach ihrer Karriere will sie Marathon laufen und als Rhetoriktrainerin arbeiten. Bereits heute gibt sie Motivationsseminare. „Sie ist einfach ein Goldstück“.
    Wenn eine Frau wie Verena Bentele, die blind ist und nur eine Niere besitzt, es schafft, fünfache Olympiasiegerin zu werden; wenn es eine Sportlerin wie die ehemalige Fußballerin Britta Carlson schafft, eine beeindruckende Fußballkarriere zu machen, obwohl ihr bereits mit 16 das Karriereende prophezeit wird; wenn es der Australier Nick Vujicic ohne Arme und Beine schafft, ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen: welche Ausreden hast du, dass es in deinem Leben nicht klappt, Erfolg zu haben? Du bist zu jung, du bist zu klein, du bist zu dumm, du bist zu alt, du bist ein Junge, du bist ein Mädchen, du hast kein Geld, du bist ein armer Schlucker. Das sind alles nur äußere Umstände, die es dir schwieriger machen. Verena hatte auch schwierige Umstände. Ich kann dir noch dutzende Menschen aufzählen, die vieles erreicht haben, obwohl sie gehandicapt waren. Es gibt keinen einzigen Grund, den du anführen kannst, dass du nicht dein Leben in Erfolg, Gesundheit, Wohlstand und Glück führen kannst. Es gibt nur Ausreden und diese Ausreden will ich dir mehr und mehr austreiben.
    Mit Spaß und Selbstdisziplin vom Oldie zum Goldie
    Sicher kennst du folgende oder ähnliche Aussagen von älteren Menschen – also