Splitterseelen
trägt?“
Jason nickte. An den wertvollen Stein konnte er sich gut erinnern, denn er hatte die aufregende Farbe von Calaels Augen. Und die fühlte er täglich behütend auf sich gerichtet. Schöne Augen in einem schönen Gesicht. Manchmal träumte Jason von seinem Engel. Und das waren ganz unengelhafte Träume …
„Über diesen Saphir erfährt Calael, wenn du in Gefahr gerätst. Daher wäre er längst hier, wenn ich für dich eine Bedrohung darstellen würde. Ist doch logisch, oder?“
„Solange du mir die Wahrheit erzählst. Allerdings sind Dämonen nicht gerade dafür bekannt, dass sie die Wahrheit erzählen, nicht wahr? Calael ist mein Schutzengel. Er wacht über mich und wird das auch weiterhin tun. Ich habe keine Ahnung, woher du Junkie das alles weißt, das ist mir auch ehrlich gesagt schnurz. Was willst du? Geld? Pillen habe ich keine im Haus.“
Mijo starrte ihn an.
„Ich möchte jetzt, dass du gehst. Ich muss nämlich dringend zu meiner Vorlesung.“
„Hast du mir nicht zugehört?“
„Das habe ich. Und offenbar viel zu lange.“ Jason fischte in seiner Tasche nach dem Handy. „Ich rufe jetzt die Polizei …“
Erneut lachte Mijo. „Bevor die mit ihrem Tatütata hier sind, sind wir beide längst fort.“
Das Handy wurde Jason aus der Hand gepflückt. Verflixt! Dieser Mijo hatte sich durch das halbe Zimmer bewegen müssen, um vom Sideboard zu ihm zu gelangen. Er hatte extra auf Abstand geachtet. Wie konnte sich dieser Mann so flink fortbewegen? Jason versuchte ihn mit einem Aikido-Griff abzuwehren, fand sich jedoch überraschend mit der Wange an der Wand und dem Arm auf den Rücken verdreht wieder.
„Es langt mir allmählich, Jason. Da du auf Erklärungen offenbar nicht hören willst, werde ich dich nun zu deinem Glück zwingen müssen.“ Mijos Stimme ertönte ganz dicht an seinem Ohr. Die Lippen streiften sogar seine Haut, was einen Schauer über Jasons Rücken schickte. Panik stieg in ihm auf. Was hatte der Irre mit ihm vor?
„Es ist alles gut“, sagte er keuchend. „Das mit der Polizei war ein Scherz. Lass mich los und wir reden ganz in Ruhe miteinander, ja?“
„Wir haben genug geredet. Ich möchte vermeiden, dass Calael in seiner Ungeduld womöglich vorzeitig hier auftaucht. Also verschwinden wir beide jetzt.“
Jason schrie auf, als er mit großer Wucht herumgeschleudert wurde. Im Reflex streckte er noch abwehrend die Arme aus, weil er befürchtete, gegen die Spiegelglastüren seines Kleiderschranks zu krachen. Stattdessen fiel er einfach hindurch …
Morgen also, dachte Calael. Morgen war sein einundzwanzigster Geburtstag. Der Tag des Rituals, das ihm endlich vollen Zugang zu seinen magischen Kräften gewähren würde. Der Tag, ab dem er ein vollwertiger Magier und Krieger sein würde, fähig, sein Erbe als zukünftiger Patriarch anzunehmen. Alles, was er dafür tun musste, war die Opferung seines Seelenzwillings. Über so viele Jahre hatte er Jason Andrews vor Unfällen, Krankheiten und Unglücken aller Art bewahrt. Wie man es von einem guten Jungmagier verlangte. Er war in beiden Welten aufgewachsen. Bei den Menschen, von denen sein Volk abstammte, und hier in Udeah, die Welt jenseits der Spiegel. Norris Grey stand in seinem Personalausweis, den er für sein langweiliges Dasein im Hinterland von Maine benutzte. Ein Jammer, dass Jason in dieser Einöde gelandet war, in New Jersey, wo er zuvor mit seinen Eltern gelebt hatte, konnte man wenigstens einigermaßen unauffällig kommen und gehen und sich in Menschenmengen verstecken. Wie viel spannender war da seine Ausbildung zum Krieger gewesen! An Treibjagden hatte er von seinem fünften Lebensjahr an teilnehmen dürfen, bei denen Verbrecher oder Todkranke von der Erde entführt wurden. An diesen Jagden durften auch die Dämonen teilnehmen, es hielt sie beschäftigt und zufrieden. Blieb genug von den Menschen übrig, brachte man ihre Leichen zurück zur Erde und arrangierte es so, dass es nach einem bedauerlichen Unfall oder brutalen Mord aussah. Es empfahl sich nicht, zu viele Leute spurlos verschwinden zu lassen.
Krieger und Zauberer zugleich zu sein war keine erwählte Aufgabe. Es war sein Schicksal, das mit dem Geburtsrecht, mittels Magie die Welt nach seinem Willen zu beugen, verbunden war. Wer sich als untauglich herausstellte oder sich weigerte, seinen Seelenzwilling zu opfern, wurde dieser Magie beraubt und ohne Erinnerungen in der Menschenwelt zurückgelassen. Ein Verlust für ihr Volk, das nicht allzu
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