Sprengkraft
dass der Alte stolz war auf jeden deutschen Kunden, der sich in seinen Laden verirrte. Sie kauften meist die teuerste Ware. Und Mostafa Diouri hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich endlich unter den Düsseldorfern herumsprechen würde, dass der Fisch in seinem Geschäft günstiger war als anderswo. Dagegen fragte sich Rafi, wie das Pärchen über den Einsatz deutscher Tornados gegen seine Glaubensbrüder in Afghanistan dachte. Und über die Verhöhnung des Propheten – auch deutsche Zeitungen druckten die dänischen Karikaturen immer wieder nach. Die Respektlosigkeit der Ungläubigen schrie zum Himmel.
»Noch etwas?«, fragte er, an den Typen gewandt.
Der blickte seine Frau an, dann verneinte er und nahm die Tüte mit den Fischen entgegen.
»Auf Wiedersehen«, sagte die Frau.
Rafi ignorierte sie.
Noch ein deutsches Pärchen hatte den Laden betreten. Dem Alter nach konnten sie Vater und Tochter sein. Aber es waren keine Kunden – sie blieben vor der Kasse stehen und zeigten dem Alten ihre Ausweise.
Polizei. Zivilbullen.
Rafi fing den ratlosen Blick seines Vaters auf, spülte die Hände ab und schlenderte nach vorn.
»Mein Sohn«, erklärte Mostafa Diouri, mühsam nach den deutschen Wörtern suchend. Sein devotes Getue war Rafi peinlich. »Abderrafi sein Name.«
Die beiden Zivilbeamten reichten ihre Hand zum Gruß. Rafi zögerte, dann schüttelte er die Pranke des Mannes. Den massigen Kommissar mit dem kahl geschorenen Kopf kannte er von früher.
»Wir haben ein paar Fragen«, sagte die Frau.
Aus mir kriegt ihr nichts raus, schwor sich Rafi.
7.
Moritz hatte sich vorgenommen, seine Bude aufzuräumen. Er sortierte die Zeitungen, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatten. Der Katze wurde es offenbar zu hektisch, sie verschwand durch das gekippte Fenster und schlich über das Dach des Garagenanbaus in den Hof, um Singvögel zu töten oder Artgenossen zu drangsalieren.
Der Stapel für den Altpapiercontainer wuchs und wuchs. Moritz fand, dass er mit dieser Aktion Petra widerlegte, in deren Augen er ein Messie war. Ihm fiel ein, dass er einige der Blätter abbestellen könnte, um Kosten zu sparen. Und das Abonnement für den Sender kündigen, der die Bundesligaspiele übertrug.
Es gab noch größeres Sparpotenzial, wenn er sein Auto gegen ein kleineres eintauschte – den Mondeo Ghia X mit seinen 220 PS hatte er sich angeschafft, als er noch nichts von seinem bevorstehenden Rausschmiss ahnte. Und er könnte natürlich die Wohnung aufgeben, in der er zwölf Jahre lang mit Freundin und Tochter gelebt hatte. Ein kleines Apartment würde es auch tun.
Dann erinnerte er sich an das letzte Weihnachtsfest: Petra und Gretchen waren aus München angereist und sie hatten sich gut verstanden. So ganz hatte Moritz die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Petra zurückkehren würde. Seines Wissens war sie nicht glücklich in ihrem Job und noch ohne neue Beziehung. Aber selbst wenn Petra in München blieb, brauchte Moritz ein Zimmer für seine Tochter, damit sie ihn wenigstens ab und zu besuchen kam. Er beschloss, die Wohnung zu behalten, solange es irgendwie ging.
Als Moritz vom Container zurückkehrte, vernahm er schon im Treppenhaus das Klingeln des Telefons.
Er rannte nach oben, suchte den Hörer, doch als er ihn fand, hatte der Anrufer aufgegeben. Nichts auf dem Anrufbeantworter.
Das Telefon klingelte wieder.
Moritz hielt den Hörer noch in der Hand. »Lemke.«
»Schön, dass ich Sie doch an der Strippe habe«, meldete sich eine Stimme, die Moritz sofort erkannte.
»Herr Bucerius?«
»Korrekt. Wie geht es Ihnen?«
Edwin A. Bucerius, einer der größten mittelständischen Bauunternehmer des Ruhrgebiets mit Sitz in Duisburg. Tochterfirmen und Beteiligungen in Asien und Amerika. Das eine Mal, als Moritz für die Bucerius KG gearbeitet hatte, war er fürstlich bezahlt worden. Es war typisch, dass der Chef persönlich anrief. Der Mann delegierte nicht, wenn ihm etwas wichtig war.
Cool bleiben, sagte sich Moritz.
»Ich hätte da etwas für Sie«, sagte Bucerius. »Einen Projektauftrag. Interesse?«
»Worum geht es?«
»Das lässt sich nicht so einfach am Telefon besprechen, Herr Lemke. Es hat mit Politik zu tun und ich dachte mir, dass Sie der richtige Mann dafür wären. Aber vermutlich haben Sie keine Zeit, denn ich bräuchte Sie mindestens für die kommenden drei Monate.«
»Müsste ich mal checken«, antwortete Moritz und wusste auch ohne Konsultation seines
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