Sprengkraft
Gottes Hand, alles andere würde euch vom Glauben abhalten! Der Koran sagt: Wer Falsches sät, wird Falsches ernten. Die Welt ist der Acker, den ihr im Jenseits wiederfinden werdet, wie ihr ihn verlassen habt. Und ein Muslim muss jederzeit darauf vorbereitet sein, diese Welt zu verlassen. Gehorcht also Gott in jedem Augenblick, lasst ab vom Kartenlegen und von der Wahrsagerei, nur dann werdet ihr auf der anderen Seite belohnt.«
Der Imam rezitierte weitere Verse und segnete die Gemeinde.
»Allah, beschütze alle Muslime und sorge dafür, dass kein Muslim seine Eltern verrät, dass kein Muslim einen anderen Muslim betrügt und dass ein Muslim immer gut ist zu einem Muslim. Und denkt daran, wie viele eurer Brüder noch keine Moschee haben. Helft mit, dass sich dies ändert! Gebt eure Spende, damit sich die Waagschale eurer guten Taten weiter nach unten neigt.«
Der Imam verließ die Kanzel, das Freitagessen wurde ausgeteilt. Viele Männer blieben und hockten sich um die Plastikteller voller Couscous, von denen sie mit blanken Fingern aßen, während sie die Neuigkeiten des Viertels austauschten.
»Tarotkarten – als gäbe es keine wichtigeren Themen«, schnaubte Said verächtlich.
Ein Weißbärtiger mit Strickmütze hatte ihn gehört und wurde laut: »Wo bleibt dein Respekt? Dein Vater sollte dich züchtigen!«
Yassin legte den Arm um Said. »Lass uns gehen. Kommst du mit, Rafi?«
Eigentlich erwartete ihn sein Vater im Laden zurück, aber Rafi zögerte nur kurz.
Said ereiferte sich weiter über die Ignoranz des Imams. Der Typ hatte gepredigt, als gäbe es weder Afghanistan noch Tschetschenien, Somalia, Irak oder Palästina – lang war die Liste der Länder, in denen die Ungläubigen Krieg führten gegen die Umma, die islamische Nation. Vier Millionen Muslime waren in den letzten Jahren getötet worden, darunter zwei Millionen Kinder.
»Und da fällt diesem weichgespülten Integrationsprediger nichts anderes ein, als vor Kartenlegerei zu warnen. Möge Allah uns von solchen Imamen verschonen!«
Rafi stimmte ihm zu.
»Vergesst diesen dummen Imam«, versuchte Yassin zu beschwichtigen. »Regt euch nicht auf, Brüder. Das ist vergeudete Energie.«
Sie betraten das Café, wählten einen Tisch im hinteren Bereich, um ungestört zu bleiben, und bestellten Tee.
»Yassin«, fragte Rafi, als der Kellner gegangen war, »warum hast du deinen Bart abgenommen?«
»Er will nicht auffallen«, warf Said ein.
»Was hast du vor?«
»Der Koran erlaubt es, sich zu verstellen«, erklärte Yassin.
»Eine Kriegslist gegen die Schweinefresser?«
»Nicht so laut!«
Der Kellner brachte den Tee. Die Glaubensbrüder warfen sich Blicke zu. Es war ein muslimisches Café, in dem keine Musik gespielt wurde. Die meisten Gäste unterhielten sich über die Religion. Sie diskutierten, welche Dinge des Lebens für Muslime verpflichtend oder empfohlen, verpönt oder verboten waren. Doch keiner von ihnen wäre bereit für den Kampf. Feiglinge, dachte Rafi. Sie dachten den Glauben nicht konsequent zu Ende.
Als sie wieder unter sich waren, erzählte Yassin von einer Moschee in Mönchengladbach, wo der Imam besser predigte als hier. Sie könnten am nächsten Freitag mit Rafis BMW dorthin fahren. Said hielt das für eine gute Idee.
Rafi rührte Zucker in seine Tasse und sagte: »Predigten helfen nicht weiter. Im Land des Propheten sind Ungläubige stationiert. In Afghanistan werfen sie Bomben. In Gaza sterben Frauen und Kinder. Und hier werden wir immer nur Bürger zweiter Wahl sein.«
»Das stimmt«, antwortete Said.
»Wir müssen endlich ein Zeichen setzen. In dieser Stadt.«
»Wenn du am Telefon darüber sprichst, wird garantiert nichts daraus.« Yassin warnte: »Du weißt nie, wer mithört. Jeder könnte ein Spitzel sein.«
»Und deshalb soll ich die Hände in den Schoß legen? Wenn ich nichts tu, dreh ich noch durch, ich schwör’s!«
»Es kommt nicht darauf an, Bruder, wie du dich auf dieser Welt fühlst. Das Leben ist nur eine Prüfung, ob wir des Paradieses würdig sind.«
»Und wie kann ich diese Prüfung bestehen?«
»Indem du den Koran liest und dich als Gläubiger unter Muslimen fragst: Welche Aufgabe hat Allah mir gegeben?«
»Die Aufgabe kenn ich«, behauptete Rafi.
»Dann warte ab, bis Allah uns das Zeichen gibt. All unser Tun kann nur mit seiner Unterstützung gelingen.«
Abwarten – das lag Rafi überhaupt nicht.
Yassin notierte etwas auf einen Zettel. Said schrieb noch etwas
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