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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Tarneke
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Patienten, die trotz einer todbringenden Erkrankung weder ein Testament haben, geschweige denn eine Patientenverfügung, weil sie sich einfach nie damit auseinandergesetzt haben, dass unser Leben eines Tages unausweichlich zu Ende sein wird.
    Ein Fehler, wie ich finde. Wir setzen uns doch mit allen Eventualitäten im Leben auseinander – warum ausgerechnet nicht mit der Sache, die nun wirklich zu 100 Prozent auf uns alle zukommen wird?
    Ich habe allerdings auch das genaue Gegenteil erlebt: Patienten, die alles geregelt und sich ausführlich auf die Situation vorbereitet hatten und dann friedlich sterben konnten. Das ist sicherlich der Idealfall. Leider kommt der Tod oft genug aus heiterem Himmel und reißt Menschen aus unserer Mitte, für die es noch viel zu früh scheint. Auch für uns Schwestern und Pfleger sind das belastende Situationen, und wir müssen versuchen, sie so gut es geht zu verarbeiten.
    Wenn Sie, liebe Leser, im Folgenden manchmal den Eindruck haben sollten, dass ich die Geschichten rund um dieses sensible Thema genau wie die anderen Geschichten auch mit einer Portion Humor erzähle, so seien Sie versichert, dass das nur den einen Grund hat: etwas Abstand zum Erlebten zu gewinnen. Keineswegs geht es hier um mangelnden Respekt oder fehlende Demut vor dem Tod. Zwar wird der Tod manchmal eben von skurrilen Umständen begleitet, aber dennoch steht hinter jeder Geschichte ein persönliches Schicksal.
    Genau wie hinter der von Hardy S.
    Er zitterte am ganzen Leib, als ihn die Rettungssanitäter in die Notaufnahme brachten. Hardy S. trug eine hautenge Jeans und ein weites, fliederfarbenes Hemd, bei dem er die beiden obersten Knöpfe offen gelassen hatte. Trotz seiner intensiven Sonnenbankbräune war er aschfahl im Gesicht.
    An diesem Abend herrschte mal wieder Hochbetrieb in der Notaufnahme, sodass ich mich zunächst nicht um Hardy S. kümmern konnte. Ein schlimmer Verkehrsunfall mit acht Schwerverletzten hielt uns auf Trab. Und da Frank nur kurz » ABR « zu mir sagte, hatten Schädelhirntrauma und Wirbelsäulenverletzungen Vorrang.
    ABR bedeutet »Akute Belastungsreaktion«, im Volksmund auch Schock genannt, ein Zustand, der für das Herz-Kreislauf-System Stress bedeutet und demnach keinen Vergleich darstellt mit einer offenen Fraktur, die direkt nach Hardy S. in die Notaufnahme geschoben wurde.
    Der braun gebrannte Mittvierziger musste also warten.
    Verloren saß er auf dem überfüllten Flur und starrte vor sich hin. Zwischendurch brach er immer wieder in Tränen aus, versuchte, sich Luft zuzufächern und einigermaßen die Fassung zu wahren. Was ihm im Großen und Ganzen nicht gelang.
    Nachdem ich das letzte Verkehrsopfer in den OP geschoben hatte, konnte ich mich endlich um ihn kümmern.
    Â»Hallo, ich bin Schwester Anna«, sagte ich und setzte mich neben ihn. »Wie geht es Ihnen?«
    Hardy S. war nicht in der Lage zu antworten. Er versuchte zu sprechen, aber mehr als ein lautes Schluchzen kam nicht über seine Lippen. Er weinte jetzt hemmungslos und zitterte dabei am ganzen Körper.
    Schnell war mir klar, dass hier ohne ein Beruhigungsmittel gar nichts laufen würde. Ich kontrollierte Puls und Blutdruck von Hardy S., und Dr. Alma A. gab ihm ein Mittel, wodurch er innerhalb weniger Minuten deutlich ruhiger wurde.
    Jetzt weinte er zwar immer noch, zitterte aber lange nicht mehr so heftig.
    Â»Was ist passiert?«, fragte ich und gab ihm einen Becher mit Wasser.
    Â»Enrico«, schluchzte er. »Er ist tot … er ist tot … und ich bin daran schuld.«
    Ich hatte keine Ahnung, wer Enrico war, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es sich bei Hardy S. nicht um einen Mörder handelte. Einen Verdächtigen hätten die Kollegen vom Rettungsdienst jedenfalls kaum bei mir abgeliefert.
    Â»Ausgerechnet heute, an unserem Jahrestag!«, schluchzte Hardy S. in dem Moment laut auf. »Genau heute vor elf Jahren haben wir uns kennengelernt … er wollte mich überraschen … und dann … es müssen diese verdammten Wadenkrämpfe gewesen sein, anders kann ich mir das nicht erklären! Er muss wieder so einen Krampf gehabt haben …«
    Ein tödlicher Wadenkrampf? Das wäre etwas Neues.
    Â»Erzählen Sie mir doch mal alles von Anfang an«, sagte ich in der Hoffnung, dass Hardy S. sich den Kummer ein wenig von der Seele reden und dadurch vielleicht etwas beruhigen würde.
    Â»Vor genau elf

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