Spuk aus dem Jenseits
tatsächlich
hervorragend zeichnen, spielte außerdem Klavier, Blockflöte und auf dem Kamm.
Im Sport war er eine Niete, aber bei Prügeleien trotz seiner dünnen Arme
gefürchtet. Denn er biß wie ein Terrier.
„Gehen wir erstmal hoch“,
meinte er. „Zu den Zimmern.“
Die breite Treppe mit dem
holzgeschnitzten Geländer führte bis unters Dach.
Jörg wohnte links von einem
großen Bad mit Fensterblick auf die Stadt, über der jetzt ein messingdicker
Himmel hing — als würde er gleich einstürzen.
Für Tim, Karl und Klößchen war
ein großes Drei-Bett-Gästezimmer reserviert — rechts neben der sogenannten
Naßzelle. Am Ende des Flurs gab es noch ein Gästezimmer, ein kleines, mit
eigenem Bad. Dort sollte Gaby sich einnisten.
„Jöööörg!“
Eine melodische Frauenstimme
erscholl von unten herauf.
Aha, Frau Elsa Kramer-Demonius,
dachte Tim.
„Ja, Mama?“
„Sind deine Freunde schon da?“
„Ja, Mama.“
„Ich würde sie gern
kennenlernen. Bin im Kaminzimmer.“
„Ja, Mama.“
Das TKKG-Trio hatte ausgepackt:
Wäsche, Schlafanzug, Waschzeug. Klößchen brachte außerdem fünf Tafeln
Schokolade mit.
Tim trat auf den Flur. Jörg
wartete an der Treppe, wo ein Fenster hinter ihm vom Sonnenlicht verwandelt
wurde in ein blitzendes Juwel. Im Gegenlicht waren Jörgs große Ohren fast
durchsichtig.
„Meine Mama möchte euch
kennenlernen.“
Die knarrende Treppe hinunter.
Karl machte Klößchen darauf aufmerksam, daß ihm Schokolade im Mundwinkel klebe.
Das Kaminzimmer wirkte riesig.
Daran konnten auch die schweren alten Möbel nichts ändern.
Als wäre die Zeit
stehengeblieben — so um 1930, mutete es Tim an.
Jörgs Mutter war der krasse
Gegensatz. Sie sah aus wie Mitte Dreißig, hatte langes Blondhaar und braune
Mandelaugen. Das Gesicht war etwas unregelmäßig, aber hübsch — die Kleidung
absolut modern: enge Kostümjacke und noch engere Sommer-Shorts. Sie trug offene
Sandalen. Der Lack der Zehennägel hatte denselben Rot-Ton wie der Lippenstift.
Herzlich begrüßte sie die
Jungs.
„Gaby kommt etwas später“,
erklärte Tim. „Sie hat noch zu tun zu Hause. Sie bringt auch den Blumenstrauß
für Sie mit, Frau Kramer-Demonius. Also entschuldigen Sie, wenn wir jetzt,
obwohl eingeladen, mit leeren Händen dastehen.“
Sie lachte melodisch. „Über die
Blumen freue ich mich jetzt schon.“
Die Jungs mußten sich beim
Kamin auf die Eck-Couch setzen. Ein Panorama-Fenster wies zum Garten, besser
gesagt zu einer grünen Wand aus Sträuchern, Farnen und Bäumen. Ein Teil der Fensterscheibe
war kaputt. Provisorisch hatte der Glaser eine Scheibe dagegen gesetzt, sie
aber — weil das richtige Format erst bestellt werden mußte — noch nicht
eingepaßt. Immerhin. Bienen, Wespen, Mücken, Fliegen und anderen Insekten war
der Herein-Flug verwehrt.
Elsa setzte sich, schlug die
Beine übereinander und ließ langsam ihr Lächeln erlöschen.
Jetzt kommt was, dachte Tim.
Vielleicht sind wir ungelegen und sollen wieder abrauschen.
„Natürlich freue ich mich“,
sagte sie, „daß ihr das Wochenende bei uns — bei Jörg — verbringt. Aber der
Zeitpunkt ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt.“
Schweigen.
„Denn“, fuhr Elsa fort, „im
Augenblick geschehen hier merkwürdige Dinge. Jörg sollte zu niemandem darüber
sprechen. Das habe ich ihm eingeschärft. Aber da ihr nun unsere Gäste seid,
fühle ich mich doch verpflichtet, euch zu informieren.“
Ihr Sohn verzog keine Miene.
Tim, Karl und Klößchen taten es
ihm nach.
Elsa sah in Unschuldsmienen,
und sie zog und bog einen ihrer schlanken Finger, weil sie offenbar nicht
wußte, wie sie anfangen sollte.
Tim half ihr über die
Verlegenheit hinweg, indem er sagte, Infos seien immer gut — in jeder
Lebenslage und unter allen Umständen. Denn jeder wolle ja wissen, woran er sei,
besonders wenn er sich soeben einquartiert habe in ein fremdes Haus.
Elsa nickte. „Ihr wißt
vielleicht: Mein verstorbener Mann war mein zweiter. Und zugleich Jörgs
Stiefvater. Unsere Ehe — nun, wir merkten zu spät, daß wir nicht zueinander
passen. Albrecht Demonius war einerseits ein genialer Wissenschaftler,
andererseits ein Charakter voller Schattenseiten. Wir hatten uns völlig
auseinandergelebt. Ich wurde immer gleichgültiger, er aber füllte sich auf mit
Haß. Mit Haß auf mich. Wir konnten nicht mehr aufeinander zugehen. Es gab keine
Versöhnung, dann starb er an Herzversagen.“
Was sollte man dazu sagen?
Lieber den Mund halten, dachte
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