Stadt der blauen Paläste
interessierte.
»Barbados«, sagte der Mann soeben und machte mit der Hand eine kreisende Bewegung, so, als ob sich dieses Barbados gerade im Umkreis der Lagune befände. »Und später natürlich Jamaika.«
Ludovico, der die Mutter inzwischen entdeckt hatte, wandte sich freudig erregt um.
»Stell dir nur vor, er fährt in einigen Tagen nach Jamaika und Barbados.«
»Mit welcher Ladung?«, wollte Crestina wissen, da sie annahm, dieses Geschäft habe etwas mit ihrer Reederei zu tun.
Der Mann wandte sich um, blickte Crestina prüfend an. Dann ging ein leichtes Lächeln über sein Gesicht, und er legte Ludovico seine Hand auf den Arm.
»Seht Ihr nun die Ähnlichkeit, von der ich Euch bereits erzählte?«, fragte er dann mit einem sparsamen Lächeln.
Crestina sah ihn irritiert an. »Welche Ähnlichkeit denn?«
Der Mann lachte, klopfte sich auf die Schenkel und bedeckte seinen Bart, der das Gesicht halb verdeckte, mit einer Hand. »Nun?«
Crestina spürte, wie ihre Beine zu zittern begannen. Als Clemens zu ihr herunterkam und ihren Arm berührte, schien sie aus ihrer Erstarrung zu erwachen.
»Er sagte, wir wären miteinander verwandt. Sogar nah verwandt, nicht nur irgendwie«, meinte er dann zögernd.
»Bartolomeo«, flüsterte Crestina. Dann klammerte sie sich an Clemens' Arm, als sei er der einzige Gegenstand, der ihr in diesem Augenblick Kraft geben könne. »Bartolomeo, ich habe ihn kaum erkannt.«
»Bartolomeo kam mit der Flut«, murmelte sie dann fast lautlos vor sich hin.
Bartolomeo kam mit der Flut. Sie erinnerte sich an diesen Satz, der sich in ihr Gedächtnis eingegraben hatte, als sei er damals, als er zum ersten Mal Bedeutung gewann, mit einem Meißel in Stein gehämmert worden. Es war ein Satz, an den sie jahrelang nicht mehr gedacht hatte, vor allem deswegen, weil sie auch gar nicht mehr wusste, wer ihn eigentlich gesagt hatte. Es konnte auch ebenso gut sein, dass er nur gedacht worden war an jenem Morgen, als ihre Stadt wieder einmal unter acqua alta litt, wie bereits seit Tagen. Aber sie war all die Jahre sicher gewesen, dass es Bartolomeo schon längst nicht mehr gab, dass er wirklich im Canale Orfano versenkt worden war und dass Renzo damals nicht die Wahrheit gesagt hatte, dass er Bartolomeo auf seinen Schiffen in die Welt hinausgeschickt hatte, um sie zu beruhigen. Sie hatte das damals geglaubt. Mit der Flut konnte er also ganz gewiss nie mehr in ihrem Palazzo angespült werden. Bartolomeo gehörte der Vergangenheit an. Einer Vergangenheit, die so sehr vergangen war, dass Crestina in manchen Nächten, wenn sie sich schlaflos im Bett wälzte, Mühe hatte, sie aus der Versenkung heraufzuholen. Bei Tag würde sie dies ohnehin schon gleich gar nicht mehr versuchen.
Und nun stand dieser Totgeglaubte vor ihr, betrachtete sie mit dem gleichen spöttischen Blick, den sie immer an ihm gehasst hatte.
»Nun, es sind natürlich Jahre vergangen«, gab er lächelnd zu, »aber immerhin erinnerst du dich ja gewiss noch an mein unveränderliches Kennzeichen, sodass ich nie verwechselt werden kann.« Er wandte den Kopf etwas zur Seite und entblößte die eine Seite seines Halses, auf dem eine hässliche Narbe sichtbar wurde.
»Von Piraten?«, fragte Ludovico erregt.
»Nein, von einem Adler«, erwiderte der Mann.
»Den er zähmen wollte und für die Beizjagd abrichten«, spottete Crestina, »als Kind. Und weil sein Geld ganz gewiss nicht gereicht hatte, einen Falken zu kaufen.«
Der Adler schien die Piraten zu übertrumpfen.
»Ein Adler, den Ihr für die Beizjagd abrichten wolltet?«, fragte Ludovico ehrfurchtsvoll, »dazu gehört Mut.«
»Worum geht es eigentlich bei diesem Geschäft?«, wollte Crestina nach einer Weile wissen.
»Er will eines unserer Schiffe mieten«, erklärte Clemens zögernd.
»Und ich darf ihn begleiten«, sagte Ludovico und hielt die Luft an.
Crestina schluckte. »Wobei?«
»Bei seiner Fahrt nach Barbados. Hört mal, wie das schon klingt«, sang Ludovico lautstark vor sich hin. »Barbados, Barbados, Barbados!«
»Ich denke, du willst nach Padua, zum Studium«, sagte Crestina bemüht ruhig.
»Ja, schon, aber was hat denn Padua zu bieten gegenüber Barbados?«, fragte Ludovico abfällig.
»Immerhin den ältesten botanischen Garten der Welt«, erwiderte Crestina. »Und schließlich hast du dich mal für Pflanzen interessiert.«
»Ich habe mich für ziemlich vieles interessiert, aber bisher durfte ich ja immer nur an deinem Rockzipfel hängen«, begehrte Ludovico auf. »Nie
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