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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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einem Drittel im Wasser eingetaucht, was seine morbide Atmosphäre verstärkte, aber auch nicht unbedingt etwas Besonderes war, denn mehr als hundert besiedelte Inseln waren seit der Römerzeit bereits untergegangen. Die Tiefe des Wassers war gering, an manchen Stellen konnte man den Grund der Lagune sehen, auf dem noch Reste der einstigen Besiedlung zu sehen waren. Der Boden ging schräg nach unten, und wenn man nasse Füße vermeiden wollte, musste man exakt die Grenze zu dem bereits abgesunkenen Teil der Insel beachten. Eine Grenze, die allerdings gut zu merken war, weil dort der Rest einer zerbrochenen Säule lag. An dieser Säule hatten sie und Riccardo einst markiert, wie stark sich Venedig senkte, so, wie man die Größe von Kindern an einem Türpfosten markierte, wenn man ihr Wachstum festhalten wollte. Es hatte einst mit zu Riccardos lebendigem Unterricht gehört, dass er seiner Schwester beibrachte, wie gefährdet diese Stadt war. Ein halber Zentimeter im Jahr oder etwas mehr, hatte er erklärt, und dann hatten sie ihre Kerben eingeritzt. Aber nun waren über lange Zeit hinweg keine Kerben mehr gemacht worden, Riccardo war tot, sie hatte sich mit ihrer Familie durch fremde Städte hindurchgewohnt, in der es keine abgesunkenen Inseln gab. Wie stark sich Venedig weiter senken würde, darüber gab es tausende von Vermutungen. Vermutungen, die sie heute allerdings nicht interessierten.
    Sie saß auf dem Säulenstumpf und blickte über die Wasserfläche hinweg, die an der abgetauchten Fläche magisch wirkte, je nachdem, wie der Lichteinfall war. So, als könnten zu jeder Zeit hier Feen auftauchen. Damals hatte sie ein winziges Inselgärtchen angelegt, hatte Mönchsbart und wilden Spargel gepflanzt, sie hatten moleche , kleine Lagunenkrebse, gefangen und geranceole in einem winzigen Becken eingesetzt. Aber von ihrem schwimmenden Garten war nichts geblieben. Die Natur hatte sich längst alles zurückerobert. Und die Menschen hatten sie verlassen.
    Sie zählte an ihren Fingern ab: Lea, Bianca, Margarete, Moise, Ludovico. Nach einigem Überlegen zählte sie Bartolomeo dazu, weil es für ihre Überlegung gleichgültig war, ob die Guten mit den Bösen gemischt wurden oder nicht.
    Sie musste also damit fertig werden, dass sie allein war. All der Menschen beraubt, die ihr wichtig waren. Nicht aller, noch war Clemens da, er hatte den Zeitpunkt seiner Abreise verschoben, nachdem Ludovico und Bianca das Haus verlassen hatten und damit Ruhe eingekehrt war.
    Crestina nahm ein zweites Mal ihre Hand zur Hilfe. Bianca und Margarete würden mit einiger Wahrscheinlichkeit zu denen gehören, die eines Tages zurückkehren würden. Moise hatte sich entschlossen, nun endgültig in Livorno zu leben, bei dem anderen Teil seiner Familie. In Venedig hielt ihn nun nichts mehr seit dem Weggang von Lea, die ganz gewiss nicht zurückkehren würde. Ludovico hatte ihr einen Brief geschrieben, kurz und eindeutig. Er schrieb, dass wohl von Anfang an klar gewesen sei, dass er niemals ein Bürger dieser Stadt werden wolle. Zwar liebe er das Wasser, aber keinesfalls genüge ihm dieses Wasser auf der Mercerie bei acqua alta . Er habe sich endgültig für Jamaika entschieden und den Beruf des Kapitäns auf einem Sklavenschiff.
    »Um wirklich an das große Geld zu kommen, gibt es nicht allzu viel, was dazu führen kann.« Und das mit drei Ausrufezeichen.
    Sie schaute wieder über das Wasser hinweg, das in der laguna morta zum Teil unübersichtlich war. Ein Schilfgürtel schien sich zu bewegen, aber sie hatte noch nie einen Menschen hier getroffen, wenn sie hier war. Noch nie.
    Sie überlegte sich, was sie mit dem Palazzo anfangen sollte. Natürlich konnte Clemens hier eines Tages einziehen, wenn er heiraten wollte. Margarete hatte ohnehin darum gebeten, dass ihr Faktor noch eine Weile mit den beiden Sklavinnen hier bleiben durfte, um ihre Experimente zu Ende zu führen. Also konnte sie sich beruhigen, falls ihr danach zumute war. Aber sie hatte den Eindruck, dass ihr heute Morgen nicht danach zumute war.
    Das Gefühl, dass sie versagt hatte, dass sie haushoch unter ihren beiden Freundinnen stand, hatte sie bereits überfallen, als die Tore des Palazzos nach Margaretes Abschied soeben zugeklappt waren. Lea war in ihrem hohen Alter noch einmal aufgebrochen zu einem fernen Ziel, von dem sie nicht sicher war, ob sie es je erreichen würde, Margarete war zu einem noch ferneren Ziel unterwegs, bei dem sie ebenfalls nicht sicher war, ob sie es erreichen und

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