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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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auch wieder den Weg zurückfinden würde.
    Doch Crestina brach nirgendwohin auf. Sie würde in ihrem Palazzo bleiben, allein. Dann, wenn Ludovico sie endgültig verlassen würde, nicht nur für eine einzige Reise, wenn er für immer auf den Meeren unterwegs war. Dann, wenn sie auf alles verzichtet haben würde. Aber sie konnte nicht einmal sagen, dass dieses Verzichten ihr wirklich ›in der Seele wehgetan‹ hätte, wie das so viele behaupteten, wenn man etwas verließ.
    Sie war gelebt worden.
    Sie wiederholte diesen Satz, einmal, zweimal, so lange, bis sie ihn selber glaubte.
    Sie durchstreifte ihr Leben noch einmal, von Anfang an, korrigierte sich dann. Dieser Satz stimmte nicht. Sie war eigene Wege gegangen. Keine grandiosen eigenen Wege, aber immerhin waren diese Wege ihre eigene Entscheidung gewesen.
    Nach Nürnberg war sie damals noch gezwungenermaßen gegangen, aber alles, was danach kam, hatte sie entschieden: Sie hatte die Fischernetze auf der Insel von San Giorgio aus eigenem Antrieb geflickt. Sie hatte gegen den Stachel der Inquisition gelockt. Sie hatte Manuskripte in wilden Parforcejagden nach Padua geschmuggelt. Und sie hatte mit absoluter Hartnäckigkeit den Palazzo zurückerobert, hatte ihn Bartolomeo entrissen, so wie er ihn ihr einst entrissen hatte.
    Aber dann, in der langen Zeit der Ehe mit Renzo, hatte sie ihre Eigenständigkeit aufgegeben. Sie war gelebt worden, hier stimmte dieser Satz. Sie war nach Renzos Tod in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und hatte genau an der Stelle weitergemacht, die sie einst zurückgelassen hatte. Sie war geblieben, was sie immer gewesen war und nie abgestreift hatte: die wohl behütete Tochter eines reichen venezianischen Handelsherrn, die sich vielleicht in der Literatur der alten Griechen und Römer auskannte, aber nicht einmal alle Schiffstypen aufzählen konnte, die Renzo besessen hatte. Von der Salzinsel hatte sie das meiste auch vergessen. Sie wusste nicht einmal mehr exakt, wie das Salz gewonnen wurde. Und ihre Enkel, falls sie eines Tages welche haben sollte, würden es ebenfalls nicht wissen. Und wenn dieser Palazzo ihrer Familie eines Tages ebenfalls nicht mehr gehören würde, wäre auch er verloren. Niemand mehr würde von den Dogenbildern erfahren, von der Gondel, der lahmen Ente, die Ludovico nach einer kurzen Begeisterung längst wieder aufgehört hatte, in Stand zu setzen, bevor er angeblich nach Pellestrina zu der Tante gegangen war, um seine Abfahrt auf dem Sklavenschiff zu kaschieren.
    Die Idee, die am Ende dieser mehr als traurigen Bilanz übrig blieb, erschreckte sie zunächst, dann begann sie sich mit ihr anzufreunden. Zum Schluss war sie sicher, dass diese Idee sie – möglicherweise – aus ihrer derzeitigen Tristesse herausreißen würde. Sie würde alles aufschreiben, was wissenswert war für ihre Nachfahren. Es würde ein langer Brief werden, ein ›Brief an meine ungeborenen Enkel‹. Sie war so besessen von diesem Hilfsseil, das sie sich da geknotet hatte, dass sie nicht mehr darauf geachtet hatte, was um sie herum geschah. Sonst, dessen war sie sich später sicher, hätte sie ganz gewiss die Bewegung an dem Schilfgürtel deutlicher beachtet, sie hätte den flachen Kahn gesehen, der neben ihrem Boot festgemacht worden war.
    Und sie hätte ganz gewiss den Mann, der mit einem Male seitlich neben ihr stand und sie nun freundlich lächelnd betrachtete, früher bemerkt.
    »Nun, wie weit sind wir inzwischen gesunken?«

23. S PIEL MIT DEN BLAUEN P ALÄSTEN
    Sie starrten sich eine ganze Weile an, bevor etwas geschah. Sie schüttelte den Kopf, wischte sich über die Augen, versuchte dann etwas zu sagen, aber die Stimme gehorchte ihr nicht und wurde zu einem Flüstern.
    »Leonardo.«
    Er lachte.
    »Schau mich nicht an wie einen Geist, ich bin quicklebendig.«
    »Aber nur ein Geist konnte mich hier aufstöbern«, gab sie zurück, »wie sonst solltest du diese Insel finden, auf der du nie warst?«
    Leonardo lächelte sie verlegen an.
    »Du hast vergessen, dass dein Bruder auch fast mein Bruder war, und diese halb abgesunkene Insel kannte ich natürlich. Ich kannte sie früher, als du sie kanntest, weil ich sie mit Riccardo zusammen entdeckt hatte. Du erfuhrst erst später von ihr, als ihr«, er schmunzelte, »die Lagune und das jährliche Absinken der Stadt messen wolltet. Verrückt wie Riccardo war, suchte er ja immer Dinge, mit denen er dich beeindrucken konnte.«
    Sie starrte ihn noch immer an. Er hatte sich nicht sehr verändert, war nur

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