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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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wirklich jemanden brauchst, der dir bei deinem Tohuwabohu hilft. Sicher bin ich nicht in der Lage, dir in jedem Fall zu helfen, aber eines kann ich dir schon erzählen: Ludovico ist nicht auf einem Sklavenschiff, sondern in Padua. Und –«
    »Ludovico ist sehr wohl auf einem Sklavenschiff«, empörte sich Crestina, »und weißt du auch, wem es gehört?«
    Leonardo schüttelte den Kopf.
    »Wie sollte ich? Ich bin soeben erst in die Stadt gekommen und mit Sklaven hatte ich nie was zu tun, ich hatte nie welche.«
    »Es gehört Bartolomeo!«
    »Oh je, oh je, der Böse von einst. Gibt es den immer noch?«
    »Und wie es ihn gibt, er ist inzwischen sogar ein reicher Mann und besitzt Schiffe. Mit denen er nach Afrika fährt, um dort Sklaven zu jagen und sie dann in Barbados zu verkaufen.«
    »Nun, dabei kann ich dir vermutlich nicht allzu viel helfen«, gestand Leonardo, »schließlich ist der Sklavenhandel hier bei uns in der Stadt nicht eben unbekannt. Zweimal im Jahr gibt es Sklavenmärkte, und jenseits davon kannst du sie auch so kaufen: Tscherkessen, Georgier, Türkenmädchen, dann natürlich Gefangene aus irgendwelchen Kriegen. Du kannst sie schon für etwa zwanzig Dukaten bekommen, wenn sie kochen können, sind sie teurer.«
    »Die unseren im Haus, die Margarete gehören, können es gewiss nicht«, sagte Crestina gereizt. »Und ganz offensichtlich lernen sie es auch nicht. Sie blockieren nach wie vor die gesamte Küche, wenn sie ihre ›Schlosserrieben‹ oder ›Schlosserbuben‹ oder was weiß ich zusammenwursteln.«
    »Aber Ludovico ist wirklich in Padua«, kehrte Leonardo zum Gespräch von zuvor zurück. »Als ich mich nach dir in eurem Palazzo erkundigte, kam genau in dieser Minute ein Postbote und brachte eine Nachricht von deinem Sohn. ›Die Ketten haben mir doch nicht gefallen, gehe lieber nach Padua‹, las mir Clemens kopfschüttelnd vor, was immer das auch zu bedeuten hat. Und was diesen Bartolomeo betrifft: Auch das Böse vergilbt eines Tages. Vergiss ihn. Er wird nicht ewig leben. Und bedrohen kann er dich gewiss nicht mehr, wenn du erst unter meinem Schutz stehst. Und ich weiß auch schon gar nicht mehr, was du ihm alles vorwirfst.«
    »Sein Sündenregister ist ellenlang«, empörte sich Crestina. »Zunächst hat er nur die Bewacher des Ghettos ausgehorcht, dann hat er den cattaveri gezeigt, wo die Denunzianten ihre Zettel in die Mauerritzen steckten, hat von diesen fünfhundert Dukaten, die es bei den Denunziä gibt, ein Drittel eingestrichen, hat Leute erpresst, wenn er sie nicht angezeigt hat, und jetzt steht er außerdem noch unter Mordverdacht.«
    »Unter Mordverdacht? Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, auch wenn ich mir ziemlich viel vorstellen kann. Aber wenigstens hat er Ludovico nicht bekommen«, versuchte Leonardo Crestina zu trösten. »Halt dich daran fest.«
    Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
    »Zähle meine Falten«, sagte sie dann, »dann wirst du dir sehr genau überlegen, wem du Schutz gewähren willst und ob dies ein Hochzeitsgeschenk sein soll oder ob ich nicht doch besser auf meinen Geburtstag warte. Im Übrigen habe ich nur noch graue Haare und dünn sind sie auch.«
    Leonardo schüttelte den Kopf, sodass seine Haare ihm um die Schultern flogen. Dann zog er eine Haarsträhne vor ihr Gesicht.
    »Grau«, sagte er dann, »oder weiß, siehst du's?«
    »Das stört nicht bei einem Mann! Das macht ihn allenfalls interessanter.«
    »Nun, das hoffe ich doch sehr«, erwiderte Leonardo lachend, »dass ich noch interessant genug für dich bin. Aber die grauen oder dünnen Haare lasse ich ohnehin nicht als Antwort gelten. Was ist deine wirkliche Antwort? Die ›alten Leute‹ interessieren mich auch nicht. Für mich zählt nur, ob du immer noch bereit wärst, blaue Paläste zu malen, für die das Papier nicht reicht, und dass du dann immer noch so verrückt bist, sie einem Gondoliere oder einer Fischfrau zu schenken, die davon nie erfahren werden.«
    Crestina lachte, hob das blaue Buch empor und schwenkte es übermütig in der Luft.
    »Wenn es dabei nicht stört, dass ich graue und dünne Haare habe, dann soll's mir recht sein. Und ich schenke auch gerne einem Straßenkehrer oder einer Fischfrau einen blauen Palazzo, von dem sie nie erfahren werden.«

Glossar

acqua alta
Hochwasser
androne
Wassertor
arlecchino  
Harlekin
arsenalotto, arsenalotti (Mrz.)
Ordnungshüter
Aschkenasim
Die Selbstbenennung der Juden Mittel- und Osteuropas, die eine gemeinsame religiöse

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