Stadt der blauen Paläste
glücklich darüber, dass sie nun wieder ein Kind hatte, dass man eben doch nicht bis zum Letzten versuchte, die Sache aufzuklären.«
Crestina streckte den Kopf aus dem Fenster. »Das sage nur nie laut«, flüsterte sie dann.
»Du meinst, weil es stimmen könnte?«
»Ich meine gar nichts«, wehrte Crestina ab. »Und im Übrigen kommt sie gerade zurück.«
Es war eine schweigsame Reise. Lea grübelte die meiste Zeit vor sich hin, warf dann unvermittelt irgendwelche Vermutungen in den Raum, auf die sie keine Antwort erwartete. Meist gab sie sich die Antworten selber.
Crestina und Margarete hingen ihren eigenen Gedanken nach, die sich mit Moise beschäftigten oder auch nicht.
Ich werde vermutlich den Duft der japanischen Wollmispel verwenden, überlegte sich Margarete, und natürlich könnte ich versuchen, ihn mit Bergamotte zu kombinieren. Und die Flakons müssen unterschiedliche Farben haben. Und Namen habe ich bisher auch noch nicht für all meine Kreationen.
Crestina versuchte, sich an diesen Mann zu erinnern, der sie zu carnevale eingeladen und ihr ein Fest versprochen hatte, wie sie angeblich nie zuvor eines erlebt hatte. Und sie versuchte, zu einer Antwort zu kommen, die sie diesem Mann geben konnte, ohne ihn zu sehr zu verletzen.
Sie verbrachten drei Nächte in wenig freundlichen Gasthöfen, die Betten ungelüftet, vermutlich die Bettwäsche nicht einmal frisch. Am dritten Tag erreichten sie in den Abendstunden Livorno.
»Wenn Abram noch lebte«, sinnierte Lea, »würde er vermutlich nun liebevoll spottend sagen, dass es Zeit wäre für meine ›tausend Augen‹. Sterne, von denen ich früher eine Zeit lang immer geglaubt hatte, dass die Venezianer sie an den Himmel gesteckt hatten, damit sie die Menschen in Venedig besser überwachen könnten.«
Crestina lachte.
»Wir werden wohl besser daran tun, uns zunächst eine Bleibe zu suchen, damit wir wissen, wo wir unsere müden Häupter hinlegen heute Nacht.«
»Ich werde vorher ganz gewiss in der Gemeinde nachfragen«, sagte Lea hartnäckig, »jetzt gleich, da ist immer jemand zu Hause. Er muss ja mit irgendeinem der Kaufleute gegangen sein, die hierher gefahren sind, mit wem sonst?«
»Ganz gewiss wird er nicht allein über den Apennin gestapft sein«, beruhigte sie Crestina.
»Was waren das eigentlich für Kaufleute, die Moise kannte, wie du uns erzählt hast?«, wollte Margarete wissen.
Lea lachte.
»Nun ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Sie transportierten Bücher oder druckten sogar welche.«
»Ich denke, Juden durften kein Handwerk ausüben«, wunderte sich Margarete.
»In Livorno schon«, gab Lea zurück, »da hatten sie ja diese seltsame costituzione livornina , die ihnen die Freiheit des Handels, des Aufenthalts und der Religion gewährte. Das galt genauso für die Juden. Es gab nie ein Ghetto hier.«
»Dann könnte Moise also überall Unterschlupf gefunden haben«, stellte Crestina fest. »Bei einem Händler genauso wie bei einem Bäcker.«
Lea seufzte.
»Das könnte er.«
Dass sie Moise in der ersten halben Stunde ihres Aufenthalts in Livorno entdeckten, noch bevor Lea die jüdische Gemeinde gefunden hatte, verdankten sie einer Fülle von Zufällen.
»Man hat sich auch schon in Jerusalem an der Westmauer getroffen, wenn man einen Zettel zwischen die Steine gesteckt und diesen Wunsch geäußert hat«, sagte Lea später glücklich und so, als sei es nichts Besonderes gewesen, dass sie plötzlich Moise singen hörten. Hinter einer Ladentür.
Lea blieb stehen, als habe sie ein Schlag getroffen. Sie hielt die beiden Frauen am Ärmel fest und zwang sie, stehen zu bleiben.
»Hört ihr? Er singt.«
Crestina, die Moise am längsten kannte, zuckte mit den Schultern.
»Bist du sicher?«
»Und wenn er der einzige Junge in Livorno wäre, der hier singt, wüsste ich es«, flüsterte Lea erregt.
Als Nächstes war eine Männerstimme zu hören, die denselben Text wiederholte. Perfekter natürlich und mit Unterbrechungen.
»Es könnte ein Kantor sein, der für den Sabbat übt. Oder einem Schüler beibringt, wie er zu singen hat«, sagte Lea leise, »falls er einmal Kantor werden möchte.«
»Kantor?«, fragte Margarete, »will er etwa Kantor werden?«
Lea seufzte.
»In diesem Alter wollen Kinder alles werden. Vom Kantor bis zum Gastwirt.«
Der Gesang hatte inzwischen aufgehört, Stimmengewirr und Lachen war zu hören, dann trat ein Mann vor die Tür und sah die Frauen fragend an.
»Ich bin Lea Coen aus Venedig«, sagte Lea
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