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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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ihren Besen zur Seite, mit dem sie soeben das androne auskehrte. Sie band ihre Schürze ab und öffnete die Tür, vor der ein Junge stand. Ob er Mona Lea sprechen könnte, sagte er und drehte verlegen an seiner Mütze, die er abgenommen hatte.
    Margarete hatte ihren Korb abgestellt und kam hinzu. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass mit diesem Jungen etwas nicht stimmte, und fragte, ob sie etwas ausrichten könnten, Mona Lea sei gerade beschäftigt.
    Der Junge nahm die Mütze in die andere Hand und zog an einem Faden, der herunterhing. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Nase und sagte entschieden, er habe etwas auszurichten. Persönlich.
    »Wer ist es denn?«, fragte Lea aus der Küche und wischte sich die Zimmes- Spritzeraus dem Gesicht.
    Crestina zuckte mit der Schulter.
    »Vielleicht solltest du besser kommen.«
    Aber der Junge konnte ganz offensichtlich seine Ungeduld nicht länger bezähmen.
    »Er ist nach Livorno gegangen«, sagte er dann hektisch, »nach Livorno.« Dann wandte er sich hastig um und rannte davon.
    Lea hatte sich inzwischen die Hände an der Schürze abgewischt und kam zur Tür. Dann stutzte sie. Sie sah einen wegrennenden Jungen, den sie nicht kannte, und hatte zugleich das Gefühl, dass sie ihn doch kannte. Sie hatte sogar das unheilvolle Gefühl, dass er aus dem Chazer stammen könnte.
    »Was hat er gesagt?«
    Crestina sah Margarete an, Margarete sah Crestina an. Auch wenn kein Name genannt worden war, war ihnen klar, was gemeint war.
    Er sei nach Livorno gegangen, erklärte Crestina schließlich.
    »Was hat er … was hat er sonst … sonst noch gesagt?«, fragte Lea erregt.
    »Nichts«, sagte Margarete.
    »Nichts«, wiederholte Lea tonlos.
    Sie warfen dieses ›nichts‹ wie einen Spielball einige Male zwischen sich hin und her, dann gab Lea nach.
    »Also nach Livorno. Endlich.«
    »Was will er denn in Livorno?«, fragte Crestina alarmiert und erinnerte sich an das Gespräch, das sie erst vor kurzem mit Lea geführt hatte.
    »Vermutlich will er Steinchen auf ein Grab legen. Ein Grab, das überhaupt nicht existiert«, murmelte Lea. »Auf das Grab seiner Eltern, seiner richtigen Eltern«, fügte sie hinzu, als sie Margaretes verblüfftes Gesicht sah.
    Sie wandte sich um, stapfte in die Küche zurück und hängte ihr Küchentuch an den Nagel.
    »Ich fahre zu ihm. Jetzt. Sofort.«
    Dass aus diesem ›sofort‹ dann der nächste Tag wurde, hatte mit den beschwörenden Fragen der beiden anderen Frauen zu tun.
    »Weißt du eigentlich, wo dieses Livorno liegt?«, wollte Margarete wissen.
    »Und ist dir klar, dass du dahin über den Apennin musst?«, wollte Crestina wissen.
    »Weißt du, wie viele Reisetage das sind?«, fragte Margarete und berichtete, dass sie auf ihrer Reise nach Rom einmal drei Tage länger gebraucht hatte, weil sie in den Bergen vom Schnee überrascht worden war.
    Lea musste zugeben, dass sie gar nichts wusste. Nicht, wo Livorno lag, nicht, wie lang man dorthin brauchte, nichts über den Apennin. Er hätte geradeso gut am Nordpol liegen können oder in der Wüste.
    »Ich hatte Abram für solche Sachen«, verteidigte sie sich trotzig, »er hat so was gemacht, nicht ich.«
    »Abram ist tot«, stellte Margarete nüchtern fest, »du musst schon selber entscheiden, was du tun möchtest.«
    »Abram ist nicht tot«, widersprach Lea heftig, »genauso wenig wie Riccardo tot ist, oder?«, wandte sie sich an Crestina, da ihr klar war, dass sie von ihr hier in jedem Fall Hilfe erwarten konnte.
    Nachdem die beiden Frauen sich darauf geeinigt hatten, dass weder Riccardo noch Abram tot waren, sondern dass die beiden lediglich ›gegangen‹ waren, hatte Lea sich so weit beruhigt, dass man entschied, am nächsten Tag zu fahren. Das sparte eine Übernachtung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sie alle fahren würden. Alle.
    Es gab eine halb warme Suppe mit zerstörten Ringen, zu denen sie sich später doch noch entschlossen hatte, ein verbrutzeltes Huhn und angehängtes Zimmes. Als sie in der Küche, nicht, wie sonst üblich in der sala , die Mahlzeit einnahmen, war Lea bereit, Dinge zu erklären, die zumindest für Margarete nicht verständlich sein konnten.
    »Und weshalb überhaupt Livorno?«
    »Moise kam zu uns, weil die Familie unserer Tochter in Spalato lebte. Sie hatten den Jungen in einem Haus gefunden. Seine Eltern waren dort vermutlich gerade zu Besuch gewesen. Die Leute, die Hausbesitzer, waren bereits alle an der Pest gestorben, und das Kind war mehr tot als

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