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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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nur mit einem dünnen Morgenmantel bekleidet durch das Haus gehen konnte, wo sie zu jeder Zeit von Margaretes Faktor oder Moise überrascht werden konnte.
    Manche der Möbel waren ihr vertraut, andere dagegen nicht. Und sie wurden auch dadurch nicht vertrauter, dass sie sie berührte, über die Lehnen der Sessel strich, versuchte, ihren Geruch aufzunehmen. Bei manchen Möbeln wusste sie nicht einmal mehr, dass sie ihr überhaupt irgendwann gehört hatten, und bei den Bildern hatte sie den Eindruck, dass sie entweder an völlig anderen Plätzen hingen oder verschwunden waren. Das einzige fest in ihrem Kopf Verankerte waren die riesigen Dogenbilder im Kaminzimmer, an die sie sich erinnerte, bereits von ihrer Kindheit her. Wobei Kindheit in diesem Falle nicht die frühe Kindheit bedeutete, da sie damals in einem höchst bescheidenen Haus in der Stadt gelebt hatten. Der Palazzo wurde erst Teil ihrer Familie, als ihr Vater zum zweiten Mal heiratete und die neue Frau, Donada, den Besitz eines Palazzos als Bedingung für diese Ehe gefordert hatte – kein Palazzo, keine Ehe. Zumindest nicht mit ihr.
    Sie hoffte, dass sie ihre Vertrautheit wiedergewinnen würde, wenn ihr Gepäck eintraf, wenn sie all die Dinge, die sie liebte, wieder um sich haben konnte. Aber als ein Teil der Truhen und Kisten endlich am späten Nachmittag ankam, traf sie die Enttäuschung doppelt. Das erhoffte Gefühl der Vertrautheit mit Altbekanntem und des Geborgenseins stellte sich nicht ein. Lediglich die bereits damals halb vermoderte Gondel im androne hatte ihre Abwesenheit überdauert und war inzwischen noch morscher geworden.
    Am Abend, als sie auf der Terrasse saß und wie gewohnt ihren Wein trank, vermisste sie die Kühle des Innenhofes ihres bisherigen Hauses und – so seltsam ihr das auch erscheinen wollte – den Ruf des Muezzin. Dagegen irritierte sie das stündliche Läuten der Marangonaglocke vom Markusplatz: Es erschien ihr unmelodisch und bedrängend und so, als wende sie Gott nicht genügend Zeit zu und man müsse sie stündlich an dieses Versagen erinnern.
    Flüchtig kam ihr in den Sinn, dass sie vielleicht versuchen sollte, das Zimmer ihres Bruders Riccardo zu besuchen, aber sie gestand sich ein, dass sie Angst vor diesem Raum hatte, Angst vor den Erinnerungen, da sie nicht sicher war, ob sie bereits bereit war, sich ihnen zu stellen. Vermutlich war es viel zu früh dafür. Noch lag der Tod ihres Mannes Renzo kaum ein Jahr zurück. Und wie sie ihr Leben weiterhin gestalten sollte, war ihr bis jetzt mitnichten klar, was möglicherweise auch damit zu tun hatte, dass sie – außer Margarete und Lea – keinerlei Freunde mehr in dieser Stadt besaß. Leonardo, einst der engste Freund Riccardos, war nach Basel gegangen, um dort noch einmal ein Studium zu beginnen und sich aus der ›Alltäglichkeit‹ seiner Druckerei zu befreien, wie er das damals genannt hatte. Wann und ob Leonardo zurückkehren würde, war ungewiss. Und ob er überhaupt je wieder bereit war, zu ihr Kontakt aufzunehmen, ebenfalls. Ihr Abschied damals war nicht eben herzlich gewesen, zumindest von ihrer Seite aus. Und sie hatte damals den Eindruck gehabt, dass er annahm, sie verüble ihm, dass er übrig geblieben war und die Pest sich stattdessen Riccardo als Opfer ausgesucht hatte.
    Ihr früheres Leben, ihre wilde Zeit, in der sie zusammen mit den aufmüpfigen Buchhändlern der Stadt der Zensur und der Inquisition getrotzt und verbotene Manuskripte in kühnen Parforceritten unter Wollknäueln in Körben versteckt nach Padua geschmuggelt hatte, war vorüber. Die Isola di San Giorgio, auf der sie damals ihre geheimen Treffen gehalten hatten, war heute vermutlich nichts weiter als eine Insel, auf der Gemüse angepflanzt wurde. Und auf der Fischer lebten, für die sie einst Netze geflickt hatte – als Tarnung. Und um über die Trauer um Riccardo hinwegzukommen.
    Nun war sie eine Witwe, die sich um drei Kinder zu kümmern hatte, die ihr über den Kopf zu wachsen schienen. Sie hatte Mutter zu sein, nichts sonst. Und sie war keinesfalls sicher, ob sie damit je zufrieden sein würde.

4. D REI F RAUEN
    Margarete und Lea erschienen einige Tage später, nahezu zur selben Zeit.
    Lea wirkte wie üblich abgehetzt, die Haube saß schief auf ihren zerzausten Haaren, obwohl es vermutlich keinerlei Grund für irgendwelche Hetze gab. Zumindest konnte es nicht die Vorbereitung des Sabbat sein, die sie sonst jedes Mal in Sorge gebracht hatte: Heute war Montag und kein Freitag, und

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