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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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dieses Hauses.
    »Was sollen wir tun?«, wollte Clemens wissen und blickte seine Mutter fragend an. »Sollen wir sie rauswerfen?«
    »Das geht wohl kaum«, sagte Crestina ratlos. »Es kann sich nur um Margaretes Personal handeln, und sie hat schließlich dieses Erdgeschoss ganz regulär gemietet.«
    »Das Erdgeschoss und die Treppe, die zum piano nobile führt?«, fragte Clemens und deutete auf die Schalen auf den Stufen, in denen irgendwelche Essenzen vor sich hin brodelten. Schalen, die außerdem im gesamten Raum verteilt waren und dort ganz offensichtlich Versuchszwecken dienten.
    »Lea wird Bescheid wissen«, sagte Crestina zuversichtlich, ohne die beiden Mädchen noch eines Blickes zu würdigen, »seht oben nach, ob ihr sie findet. Ihr müsst in der sala nach rechts gehen.«
    Sie blieb stehen, sah dann hinüber zur Eingangstüre, an der sie einen jungen Mann entdeckte, der soeben das Haus betrat. Er blickte sie verblüfft an und fragte dann höflich, ohne dabei zu husten, weil er den Rauch vielleicht gewohnt war, ob er ihr helfen könne.
    Crestina schaute ihn an, deutete dann auf die beiden kichernden Mädchen und den immer noch größer werdenden Glasscherbenhaufen.
    »Falls Ihr es schafft, dass das hier möglichst bald hinausgeschafft wird, dann könnten wir alle besser atmen.«
    Der Mann nickte bereitwillig und gab den Mädchen mit der Hand ein Zeichen.
    »Gehört Ihr in dieses Haus?«, fragte er dann.
    Clemens kam die Treppe herunter.
    »Wir können Lea nicht finden, aber oben riecht es zumindest etwas besser.«
    Der Mann sah Crestina prüfend an, dann Clemens.
    »Seid Ihr etwa Signora Zibatti?«, fragte er und straffte sich etwas.
    »Die bin ich«, gab Crestina zur Antwort, »und wer seid Ihr?«
    Er sei der Faktor von Margarete, erklärte der junge Mann bereitwillig und nannte seinen Namen, und Margarete sei zurzeit in Nürnberg, richte sich dort ein neues Geschäft ein und bereite eine längere Reise vor.
    »Wir haben Lea nicht gefunden«, wiederholte Clemens ungeduldig.
    »Wisst Ihr etwa auch, wo Lea ist?«, fragte Crestina in der Hoffnung, dass dieser Faktor alle derzeitigen Geheimnisse dieses Hauses aufklären konnte.
    Der junge Mann strich sich verlegen über den Bart.
    »Falls Ihr Lea Coen meint, sie dürfte vermutlich noch in Rom sein.«
    »In Rom?«, wiederholte Crestina stirnrunzelnd. »Was sollte Lea denn in Rom wollen? Schon damals war sie froh, wenn sie mit ihren kranken Beinen bis zur Rialto-Brücke und wieder zurück ins Ghetto kam. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es ihr inzwischen besser geht.«
    Der junge Mann zuckte mit den Schultern.
    »Das vielleicht nicht eben, aber es geht um ihren Sohn. Um Moise.«
    »Um Moise? Was macht Moise in Rom?«
    »Nun«, der Mann wurde von Frage zu Frage verlegener. »Vielleicht habt Ihr davon gehört oder auch nicht. Sie erwarten den Messias.«
    Crestina runzelte die Stirn.
    »Sie erwarten den Messias in Rom?«
    »Eben nicht.«
    »Und? Was soll das heißen?«
    »Nun, nicht alle erwarten ihn. Oder glauben daran, dass er kommt«, erwiderte der Mann und wandte sich zum Gehen.
    »Und?«
    »Lea Coen glaubt daran. Moise nicht. Und nun sie ist nach Rom gefahren, in den Serraglio, um Moise dazu zu bewegen, dass er nach Venedig zurückkehrt und auch an den Messias glaubt.«

3. H EIMKEHR OHNE H EIMKEHR
    Die nächsten Tage waren wenig geeignet, sich um Leas Probleme mit dem Messias und mit Moise zu kümmern: Es schien Crestina, als ziehe sie in eine neue Stadt ein. Vor allem in ein neues Haus. Ein Haus, das ihr nicht mehr gehörte.
    Es begann bereits am frühen Vormittag, als sie in die Küche kam, aus der lautstarke Frauenstimmen zu ihr herausdrangen. Als sie die Tür öffnete, zuckten die beiden Sklavinnen zusammen und ließen vor Schreck fast eine Schüssel fallen, in der sich ganz offensichtlich geschlagenes Eiweiß befand.
    »Schlisserbiben«, buchstabierte die eine von ihnen und hielt der anderen ein Buch unter die Nase, »Schlosserrieben«.
    »Schlisserboben«, sagte die andere und schob das Buch, ohne einen Blick darauf zu werfen, unsanft zur Seite, da sie ganz offensichtlich nicht lesen konnte.
    Der dann folgende Disput in einer Sprache, von der Crestina nicht ein einziges Wort verstand, war heftig und hätte sie nicht eingegriffen, wäre vermutlich die Schüssel mit dem geschlagenen Eiweiß doch noch auf dem Boden gelandet. Um was es ging, war nicht eindeutig zu erkennen, vermutlich, um diese ›Schlisserrieben‹, von denen sie nie zuvor etwas gehört

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