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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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vorschlagen, dass Ihr nun lieber in Euer Haus zurückgeht, und falls Euer Mann, der sich angekündigt hat, nicht bis zur Mittagszeit zurück ist, könnt Ihr mich rufen.«
    Die Frau nickte zögernd, murmelte dann etwas in ihrem Schweizer Dialekt, was wohl ein Dankeschön bedeuten sollte, und entfernte sich langsam.
    Crestina ging ins Haus zurück, schloss die Tür, aber bereits nach einer Minute kam die Frau zurück.
    »Und wisst Ihr, wie sie Frauen bestrafen, die in Männerkleidung herumlaufen?«, sagte sie dann voller Empörung.
    Crestina zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Es gilt als Aufforderung zur Sodomie«, erzürnte sich die Frau, »und ich frage mich wirklich, was sie in Basel dazu –«
    Crestina erfuhr nicht mehr, was sie in Basel sagen würden über Frauen, die in Männerkleidung über die Lande fuhren – sie schloss die Tür und schob den Riegel vor.

14. Die Rückkehr des Palazzo
    Crestina war dabei, sich für einen Stadtgang zu richten, den sie einmal im Monat zu unternehmen pflegte: »Der Stadtgang des schlechten Gewissens«, wie sie ihn nannte. Einmal im Monat legte sie den schweren Schlüssel des Palazzo in ihren Korb – bisher stets umsonst, wie sie wusste, aber es beruhigte sie – und machte sich auf den Weg zu ihrem Haus. Sie öffnete nie das Tor, sie umrundete lediglich das Gebäude, soweit man es von der Stadtseite her umrunden konnte, warf einen Blick zu den schmalen Schießschartenfenstern, die es auf dieser Seite gab, und überprüfte das Schloss. Sie schob den Schlüssel nie hinein, sie war sich sicher, dass sie nie so weit gehen würde: Sie war zufrieden mit dem bescheidenen Ritual, den Palazzo nur aus der Ferne zu überprüfen.
    An manchen Tagen jedoch – aber nur wenn sie ohnehin mit ihrem Boot zu irgendwelchen Inseln fuhr – pflegte sie auch von der Kanalseite her einen Blick auf das Haus zu werfen. Sie beobachtete die Fenster, warf vor allem einen Blick auf die Altane, was an heißen Sommertagen besonders schmerzhaft war, da sie hier immer zusammen mit Riccardo die Kühle des Abends genossen hatte.
    Wenn sie an solchen Tagen in ihre unaufgeräumte Wohnung zurückkehrte, wenn sie mit einem Blick die stets mit Büchern voll gehäuften Stühle und Schemel vorfand, die kaum jemandem einen Platz zum Sitzen gewährten – wobei bisweilen auch noch ihr Bett in diese Unordnung einbezogen war –, verfiel sie mitunter in eine bestimmte Art von Traurigkeit, die sie jedoch stets abschmetterte mit einem ihrer bequemen Lebensleitsätze: Es ist, wie es ist.
    »Ich kann es ja ändern«, pflegte sie dann vor sich hin zu murmeln. »Zu jeder Stunde des Tages kann ich es ändern. Wenn ich nur will. Und was nutzt es schon, wenn ich es ändere, wo ich doch keinerlei überflüssiges Geld besitze, um dieses Haus wieder in Ordnung zu bringen?«
    Das genügte dann wieder für eine gewisse Zeit, die ihr ausreichend schien, um sich auf den Weg zu machen.
    Zu Beginn dieser stets fruchtlosen Versuche, die Wurzeln ihrer Herkunft nicht völlig zu beschneiden, hatte sie stets Tage gewählt, die in irgendeiner Form einen gewissen Symbolcharakter besaßen. Also etwa: ›Der Tag, an dem ich mit Riccardo zusammen das Buch der Christine de Pisan Die Stadt der Frauen begonnen habe.‹ Oder ›der Tag, an dem wir Petrarcas Canzoniere ins Französische übersetzten‹. Oder irgendetwas, was sie den ›Arrest am Spinnrocken‹, wie sie es nannte, überhaupt vergessen ließ. Wozu sie meist hohe Festtage wählte, um damit ganz bewusst gegen die Normalität zu verstoßen.
    Heute hatte sie einen Tag gewählt, der nur zum Teil Symbolcharakter besaß. Sie hatte diesen Tag gewählt, weil sie beschlossen hatte, in den nächsten Tagen wieder zur limonaia aufzubrechen, und weil sie, bewusst oder völlig unbewusst, annahm, dieser Mann mit der gipsverschmierten Mütze könne wieder auftauchen. Und sie an irgendetwas gemahnen, was sie aus seiner Sicht ins Unrecht setzte. Sie wusste, dass es ein ziemlich verquerer Gedankengang war, aber seit jenem Treffen in den Sümpfen war sie ihn nicht mehr losgeworden. Sie hatte sich schuldig gefühlt, ohne recht zu wissen, weshalb. Aber dass es mit diesem verlassenen Palazzo zu tun haben musste, war ihr klar.
    Sie betrat das Haus in der Dämmerung.
    Sie hatte ganz bewusst diese Tageszeit gewählt, weil sie sicher sein wollte, dass der Palazzo dann ihr gehörte. Und sich keine unliebsamen Zwischenfälle ereignen konnten, wie bei ihrem letzten Versuch, dieses Haus endlich wieder in

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