Stadt der Engel
daß Denis den Hopi-Glauben wohl nicht mehr recht ernst nahm, sagte Lowis: Das Volk ist verloren, wenn es nicht mehr glaubt. Dann wird es entseelt und vom Schutt unserer Zivilisation zugedeckt.
Wir mußten aufbrechen. James sagte, er werde vielleicht im November nach London kommen, zu einem Kongreß. Die Hopi fühlten sich von dem Vertrag, der im vorigen Jahrhundertzwischen dem Staat und den Indianerstämmen abgeschlossen worden sei, übervorteilt und strebten eine Revision an.
Er verabschiedete uns würdevoll.
Lowis gab Denis seine Uhr, der sagte nur: Pretty good!, und steckte sie lässig in seine Hemdentasche. Sanna schrieb ihm die Wochentage auf englisch auf, die auf der Uhr in deutsch standen. Als wir losfuhren, zurück ins Hotel, war uns weh zumute. Waren die Hopi ein untergehendes Volk?
Wir saßen noch in meinem Zimmer, vielleicht, weil ich heimlich hoffte, Angelina würde uns zuhören. Lowis hatte sich wissenschaftlich, wie er sagte, mit untergehenden Völkern, mit untergehenden Weltreichen beschäftigt. Nicht in jedem Fall habe man das Rätsel dieses Untergangs lösen können. Bei ähnlichen Bedingungen brächen manche zusammen, andere überdauerten, wenn auch reduziert. Und schöpften anscheinend Kraft aus den Ruinen jener Bauwerke, die ihre Glanzzeit geschmückt hätten. Und wir, sagte ich, sind Zeugen zusammenbrechender Weltreiche und waren, wie anscheinend die Früheren, nicht darauf gefaßt. Aber wir können uns in sie hineindenken, sagte Sanna. Sie inszeniere demnächst ein Stück über den Untergang Trojas und brauche dazu nur eine nüchtern berichtende Zeugenstimme. Die erziele die größte Wirkung.
Lowis sagte, man rieche den Untergang. Habe ich den Untergang meines Landes »gerochen«? Merkwürdigerweise fiel mir eine Begebenheit ein, die ich bis jetzt nicht in die Kategorie Untergang eingeordnet hatte, ein Treffen mit dem sowjetischen Botschafter am 30. März 1990 in seiner großen Botschaft Unter den Linden, die ihr oft als die eigentliche Regierung eures Landes betrachtet hattet und in der ihr jahrelang nicht empfangen worden wart. Nun auf einmal diese Exklusiveinladung, ein Mittagessen. Die gähnende Leere der Garderobe, des überbreiten Treppenaufgangs, die riesigen leeren Vorräume, dann der einschüchternd große Eßraum, in dessen Mitte ein riesiger Tisch mit viel zu vielen Speisen für euch und das Botschafter-Ehepaar, das euch gegenübersaß, gedeckt war. Ein jungerDolmetscher, der nicht zum Essen Zeit fand, der brillant und akzentfrei übersetzte, an der Schmalseite des Tisches. Eine gedruckte Menükarte, mit Goldrand. Kaviar und Krebsfleisch, Seelachs überbacken, eine Borschtsch-Brühe, Hühnerfleisch überbacken. Eine stattliche Frau mit weißem Häubchen und weißem Schürzchen servierte. Die Gattin des Botschafters, eine Matrone, schwieg. Der Botschafter hatte das Bedürfnis, des längeren über die Vorzüge von Perestroika und Glasnost in seinem Land zu referieren. Er habe sich extra nach Berlin versetzen lassen, und nun sitze er hier in dieser schwierigen, nicht vorhersehbaren Situation. Die Wahlen zur letzten Volkskammer der DDR mit dem Sieg des konservativen Bündnisses waren keine zwei Wochen vorüber. Aber bei ihm zu Hause sei die Situation doch auch schwierig, kontertest du. Und er: Eben. Man müsse nur die komplizierte Lage mit Litauen betrachten.
Wozu wart ihr gekommen? Der Botschafter machte sich Sorgen um die Unruhe wegen der Stasi-Akten. Ob man damit nicht Schluß machen solle. Du verneintest, sagtest, man solle die Akten archivieren und sie den Gerichten und anderen Institutionen, die im Namen der Opfer forschten, zugänglich machen.
Der Botschafter berichtete von regelrechter Zensur seiner Botschaft durch die alte SED-Führung. Du äußertest den Verdacht, Gorbatschow sei mit dieser alten Führung zu höflich umgegangen, er bestritt das. Sechsmal sei er in den letzten Jahren bei Treffen zwischen Gorbatschow und der SED-Führung dabei gewesen, immer habe man von der sowjetischen Seite kein Blatt vor den Mund genommen. Und das letzte Mal habe Gorbatschow nach einem solchen Treffen auf dem Flur zu seiner Begleitung gesagt: Was soll man nun noch tun? Immer habe man ihm entgegengehalten, in der DDR sei alles in Ordnung, besonders auch in der Ökonomie.
Du fragtest nach der Grenzöffnung im November: Habe man ihn da nicht konsultiert? Er habe erst danach davon erfahren, er hätte dagegen gesprochen. Aber man hätte sowiesonicht auf ihn gehört. Man sei in Panik
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